Staatsbürgerschaft
Soll der Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft künftig erleichtert werden und warum? Inwiefern ist das österreichische Verständnis von Staatsbürgerschaft angesichts verschiedener (kultureller) Identitäten überholt? Staatsbürgerschaft “neu denken”: was ist das zeitgemäße Verständnis? Welche Voraussetzungen müssen unbedingt erfüllt werden, um in Zukunft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen? Wie kann man die Staatsbürgerschaftsdebatte abseits der Wahlkampagnen und politischer Ideologien einzelner Parteien führen?
Dr. Peter Kaiser
Kärntner Landeshauptmann
Das SPÖ-Reformpapier „Mehr ÖsterreicherInnen“ soll Österreich aufwerten und für mehr Gerechtigkeit, mehr Integration, mehr Teilhabe an der Demokratie, mehr Interesse an Österreich bei dringend benötigten Arbeitskräften sorgen.
Unser Staatsbürgerschaftsrecht ist im Vergleich zu anderen Ländern sehr restriktiv, kompliziert, bürokratisch und teuer. Es benachteiligt Menschen mit geringerem Einkommen und legt gerade jungen Menschen, die sich bereits ihr ganzes Leben hier aufhalten, unnötig Steine in den Weg. Dabei ist die Frage der Staatsbürgerschaft in vielerlei Hinsicht entscheidend: Sie bestimmt über Teilhabe und Zugehörigkeit – sozial, politisch und wirtschaftlich.
Unser Grundsatz lautet „Integration vor Zuzug“: Uns geht es darum, die Integration zu verbessern und für Menschen, die bereits lange Jahre rechtmäßig in Österreich leben, die Hürden am Weg zur Staatsbürgerschaft abzubauen. Das ermöglicht ihnen auch politische Teilhabe, was gerade mit Blick auf nachkommende Generationen unabdingbar ist.
Einer unserer Kernpunkte ist dabei das Recht auf Staatsbürgerschaft für Kinder, von denen zumindest ein Elternteil seit fünf Jahren legal in Österreich aufhältig ist. Ein Beispiel, das durch die Medien ging, veranschaulicht das: Olivia ist in Österreich geboren, wächst hier auf, geht hier in den Kindergarten und zur Schule, sie spricht deutsch genau wie ihre Eltern, die seit 5 Jahren in Österreich leben und sich selbst erhalten. Weil die Eltern aus dem Kosovo stammen, soll Olivia nicht die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen, sondern die kosovarische, obwohl sie den Kosovo nicht einmal kennt, sondern nur Österreich als ihre Heimat?
Das hat mit Integration nichts zu tun, ebenso wenig wie das Faktum, dass viele der hier Geborenen 16-24-jährigen nicht wählen dürfen, weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Wenn jeder fünfte seit mehr als 5-6 Jahren in Österreich lebende Mensch von demokratiepolitischen Mitentscheidungspflichten ausgeschlossen wird, trägt das nicht zur Stärkung der Demokratie und des sozialen Friedens bei.
Eine automatische Staatsbürgerschaft, wie vom politischen Mitbewerber unterstellt, sehen unsere Vorschläge nicht vor. Wir fordern eine Absenkung der Mindestaufenthaltsdauer auf sechs Jahre, wobei der Verleih der Staatsbürgerschaft weiterhin an Kriterien und Auflagen (z.B. Antrag, Erwerb der deutschen Sprache, ein eigenständiges Einkommen, einwandfreier Leumund) geknüpft sein muss. Auch soll die Staatsbürgerschaft nicht automatisch verliehen, sondern weiterhin beantragt werden.
MMag.a Barbara Eibinger-Miedl
Wirtschaftslandesrätin der Steiermark (ÖVP)
Die erfolgreiche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund ist ein wichtiger Schlüssel für den Erfolg der heimischen Wirtschaft. In nahezu allen Branchen herrscht aktuell ein Arbeitskräftemangel, der sich durch das starke Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr noch deutlich verschärft hat. Auf Grund der demographischen Entwicklung können die heimischen Unternehmen bereits heute den Bedarf an Arbeitskräften im Inland nicht decken. Dieser Umstand wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Daher sind heimische Betriebe zunehmend auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ausland angewiesen.
Neben der Integration von bereits bei uns lebenden Menschen müssen wir uns auch damit auseinandersetzen, wie wir im Ausland jene Personen ansprechen können, die unsere Wirtschaft dringend benötigt. Die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte durch die Bundesregierung war dafür ein wichtiger Schritt. Es wurden etliche Barrieren in Bezug auf die Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung beseitigt und die Anerkennung von erworbenen Qualifikationen erleichtert. In der Steiermark werden wir darüber hinaus auf das gezielte Anwerben von Fach- und Schlüsselarbeitskräften im Ausland setzen.
In unserem Bundesland befinden sich erfolgreiche industrielle Leitbetriebe, innovative Klein- und Mittelunternehmen, international renommierte Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie einzigartige Erlebnis- und Erholungsräume – vom alpinen Schiparadies über das südliche Flair des steirischen Weinlandes bis zu den Thermen.
Diese Vielfalt macht die Steiermark zu einem attraktiven Ort zum Leben und Arbeiten.
Um die Steiermark international besser zu positionieren, haben wir nun eine eigene Standortmarketing-Agentur ins Leben gerufen. Damit unterstützen wir auch die heimischen Unternehmen und Institutionen bei ihrer Suche nach dringend benötigten Arbeitskräften.
Mag.a Berivan Aslan
Gemeinderätin Grüne Wien, Integrations- und Menschenrechtssprecherin
Es ist eine Schande: In Österreich leben mehr als 250.000 Menschen, die hier geboren wurden, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Mehr als 80.000 weitere Menschen leben bereits seit ihrer Kindheit in Österreich und sind von der politschen Mitbestimmung ausgeschlossen. Was bedeutet das demokratiepolitisch?
Die Staatsbürgerschaft ist ein Akt der „Freiheit“. Eine „Freiheit“ die nicht allen in die Wiege gelegt wird. Für meine Familie bedeutete die österreichische Staatsbürgerschaft eine Art Befreiung. Die Staatsbürgerschaft ermöglichte ihnen die Anerkennung all ihrer bisherigen Leistungen und ermöglichte es ihren Kindern eine menschenwürdige Zukunft zu sichern.
Es braucht daher dringend eine Diskursverschiebung: In der heutigen globalisierten Welt sollten wir nicht über restriktive Staatsbürgerschaftsverfahren, sondern über Mehrfachstaatsbürgerschaften reden. Es geht nicht darum, Menschen die Staatsbürgerschaft „nachzuschmeissen“, wie es von rechtskonservativen Kreisen oft gerne missbräuchlich und tendenziös behauptet wird, sondern darum echte Chancengerechtigkeit zu erwirken. Wer aber ausgrenzende Politik betreibt, hat Angst vor anderen Mehrheiten!
Die Angst besteht darin, dass eine neue Wählergruppe plötzliche eine Stimme erhält und sie auch erhebt. Eine Wähler:innenschaft, die Gleichberechtigung und mehr Grundrechte fordert. Eine Wähler:innenschaft, die keine Hetzer und Nazis in die Politik wählt. Eine Wähler:innenschaft, die für alle Menschen in diesem Land, ein menschenwürdiges Leben, Schutz und Partizipation fordert. Diese privilegierte rechtskonservative Schicht, die das Thema Staatsbürgerschaft für ihre politische Zwecke instrumentalisiert und vereinnahmt, hat Angst.
Meine Haltung ist klar: Habt keine Angst vor den Menschen, die an den Baustellen dieser Stadt arbeiten, die jeden Tag Schwerstarbeit leisten, die viele Privilegierte nicht machen wollen, die eure Eltern pflegen, die zu den Systemerhalter:innen gehören, die euch an ihren Imbissständen mit Essen spät nachts versorgen. Sie nehmen euch nichts weg, weder eure Jobs, noch eure Wohnungen. Im Gegenteil, sie sind Teil unserer Gesellschaft – und als solchen sollten wir sie auch behandeln. Das bedeutet gleiche Rechte und Pflichten für alle!
Und ja, ich gehe noch einen Schritt weiter:
Wer bei der MA 35 länger als sechs Monate auf eine Antwort des Staatsbürgerschaftsverfahrens wartet, sollte „entschädigt“ werden, indem ihm/ihr die Gebühren erlassen werden!
Mag.a Dolores Bakos, BA
Abgeordnete zum Wiener Landtag und Gemeinderat Sprecherin für Jugend, Frauen, Integration und Europa
Die Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut. Es gibt klare Kriterien, klare Pflichten, klare Voraussetzungen, die der Staat vorgibt. Doch Österreichs Staatsbürgerschaftsrecht zählt weltweit auch zu den restriktivsten Systemen. Der Weg, um sie zu erlangen, ist voller bürokratischer Hürden. Wir sollten Menschen, die schon lange hier leben und die einen wichtigen Beitrag für unser Zusammenleben leisten, diesen Weg vereinfachen. Letztendlich ist es auch ein Zeichen von gelungener Integration und eine demokratiepolitische Notwendigkeit, Menschen, die schon lange in Österreich leben, die volle Teilhabe an unserer Demokratie zu geben. Gleichzeitig ist es so, dass manche Antragsteller:innen auch mit sehr langen Bearbeitungsfristen konfrontiert sind. Das liegt unter anderem auch an der unbefriedigenden bundesgesetzlichen Situation. Die langen Staatsbürgerschaftsverfahren müssen verkürzt werden, Wien arbeitet hier intensiv daran. Allein im 1. Quartal 2022 wurden etwa mehr als die Hälfte der Einbürgerungen österreichweit durch die in Wien zuständige Behörde durchgeführt.
Somit bedarf es den Abbau der bürokratischen sowie auch finanziellen Hürden für die Erlangung der Staatsbürgerschaft. Für diese komplexen und wichtigen Themen bedarf es daher einer konstruktiven, kritischen und gesamtheitlichen Auseinandersetzung und Diskussion – in der Gesellschaft und der Politik.
Denn wir müssen gesamtgesellschaftlich ein Interesse daran haben, wenn jemand in Österreich bleiben will – und sich zu unserem Land, der Demokratie und den Werten bekennt -, und einen guten Weg dafür bereiten.
Dr. Ewa Ernst-Dziedzic
Abgeordnete zum Nationalrat, Sprecherin für Außenpolitik, Migration, Menschenrechte, LGBTIQ+.
Das Wichtigste zuerst: Ja, der Zugang muss erleichtert und beschleunigt werden. Wer jahrelang hier lebt und Steuern bezahlt, soll das Recht auf ein unkompliziertes, kostengünstiges Verfahren haben. Das erlaubt die politische Teilhabe und stärkt das Zugehörigkeits- und Verbundenheitsgefühl.
Der Handlungsbedarf ist evident. Vielleicht nur eine persönliche Anekdotem nachdem ich selbst das Verfahren vor wenigen Jahren schlussendlich erfolgreich meistern konnte: Obwohl ich im Alter von 9 Jahren nach Wien kam, musste ich nach Erfüllung der überstrengen Vorgaben, sowie nach Überwindung einer gewissen bürokratischen Gegenwehr (ausgeführt über die MA35), nach zwanzig Jahren in Wien, abgeschlossener Schule, Studium etc., nicht nur viel Geld auf den Tisch legen, sondern auch meine Deutschkenntnisse beweisen. Der Grundeindruck war, dass „der Staat“ nur dann bereit ist die Staatsbürgerschaft „herzugeben“ (als würde man sie dafür irgendwie Urösterreichern wegnehmen müssen), wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Dies ist Ausdruck einer ganzen Reihe von gesetzlichen Verschärfungen seit den 90er Jahren. Und so landet Österreich jüngst bei einer Studie zum Thema Zugang zur Staatsbürgerschaft im Vergleich von 53 Staaten gemeinsam mit Bulgarien auf dem letzten Platz.
Während in Deutschland die weitere Vereinfachung und Beschleunigung des Einbürgerungsverfahrens auf den Weg gebracht wird, ist die ÖVP keinen Millimeter zu bewegen. Noch dominiert eine ideologisch aufgeladene Vorstellung, die zwischen einem Wir und den Anderen unterscheidet, obwohl ja keineswegs nur demokratie- und integrationspolitischen Argumente („no taxation without representation“), sondern auch handfeste wirtschaftliche Interessen im Ringen um dringend benötigte Fachkräfte sowie soziale Gründe für eine Reform sprechen. Diese verdienen sich alle Mitbürger:innen die bereits jetzt das österreichische Wirtschaftsleben in Schwung halten. Doch darüber hinaus brauchen wir eine weit-und umsichtige, sowie kohärente und transparente Migrationspolitik für eine moderne, soziale, und resiliente Gesellschaft der Zukunft.
Mag. Franjo Markovic
Referent und Experte für Integration & Arbeitsmarkt in der Arbeiterkammer Wien
1,5 Millionen bzw 18 % der österreichischen Wohnbevölkerung besitzt inzwischen nicht die österreichische Staatsbürger:innenschaft. Problematisch ist, dass viele der Menschen, die hier dauerhaft leben und arbeiten, hier auch politische und soziale Rechte haben sollen und wollen. Nun ist es aber so, dass der Zugang zur Staatsbürgerschaft nicht für alle unter fairen und gleichen Spielregeln möglich ist. In erster Linie verhindern zu hohe Einkommenshürden für einen großen Teil der Menschen den Zugang zur Staatsbürgerschaft – sie können sie sich nicht „leisten“. Das betrifft vor allem die während der Corona-Krise viel beklatschten Systemerhalter:innen und in dieser Gruppe insbesondere Frauen, weil diese oftmals in schlechter bezahlten Branchen und Berufen beschäftigt sind. Daher ist der Ausschluss von politischer Mitbestimmung besonders im Bereich der Arbeiter:innen zu sehen: 60 % der Wiener Arbeiter:innen haben kein Wahlrecht, österreichweit liegt dieser Wert bei etwa 40 %. Bei den Wiener Hilfsarbeiter:innen sind es nur noch 20 % (!), die mitbestimmen können. Während der Anteil der nicht wahlberechtigten Wohnbevölkerung wächst, spielen deren Interessen eine immer geringere Rolle in der politischen Entscheidungsfindung.
Um dieser demokratiepolitisch gefährlichen Entwicklung entgegenzuwirken und der arbeitenden Bevölkerung wieder eine Stimme zu geben, ist eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts dringend erforderlich. Reformbedarf erkennen wir nicht nur, aber insbesondere in folgenden Bereichen:
- Senkung der Einkommenshürden und Gebühren
- Erleichterung beim Zugang der Staatsbürgerschaft für die zweite Generation
- Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung
Mag.a Judith Pühringer
Parteivorsitzende der Grünen Wien und Stadträtin von Wien
Ende November publizierten acht NGOs den aktuellen Demokratie-Index für Österreich. Unter dem Punkt „Souverän“ wurde vor allem der Zugang zur österreichischen Staatsbürger:innenschaft stark kritisiert. Darin heißt es, dass die Voraussetzungen zum Erhalt der Staatsbürger:innenschaft realistisch gestaltet werden müssten – was aktuell nicht der Fall sei. Unter den aktuellen Bestimmungen sei der Erhalt für Viele kaum erfüllbar.
Eine Einschätzung, die ich teile. Ich halte es für ein Problem, wenn ein klaffender Spalt zwischen wahlberechtigter Bevölkerung und defacto Wohnbevölkerung besteht. Eine Tatsache die gerade in Wien besonders frappant ist. Etwa ein Drittel der Wohnbevölkerung Wiens, ist vom Urnengang ausgeschlossen – darunter etwa 72.000 junge Wiener:innen zwischen 16 und 24 Jahren. Eine Zahl die in den kommenden Jahren steigen wird. In absoluten Zahlen dürfen demnach fast eine halbe Million Menschen in Wien nicht mitbestimmen, wenn es um die eigene politische Vertretung geht. Das ist fatal, denn eine solche Lücke hat direkte Auswirkungen auf das Zusammenleben. Wer von aktiver Partizipation ausgeschlossen wird, fühlt sich auch nicht zugehörig. In der Konsequenz bedeutet das oft Politikverdrossenheit und Rückzug, schlimmstenfalls aber eine Abkehr von der österreichischen Öffentlichkeit.
Gesellschaftliches Ziel muss es daher sein jene Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben, hier Steuern zahlen, ihre Kinder hier aufwachsen sehen oder selbst hier geboren wurden, einzubürgern. Das bedeutet auch, dass wir in Österreich eine politische Debattenkultur finden müssen, die nicht in einem Negativdiskurs von einem „Ausverkauf“ der österreichischen Staatsbürger:innenschaft spricht, sondern hin zu einem Positivdiskurs führt, der den Mehrwert für alle in der Mitbestimmung und Einbindung neuer Staatsbürger:innen innerhalb der Gesellschaft erkennt. Denn Gesellschaft meint letztlich auch immer Gemeinschaft – ein Prinzip, dass das Verbindende in den Vordergrund stellt.
Staatsbürgerschaft:
- Soll der Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft künftig erleichtert werden und warum?
- Inwiefern ist das österreichische Verständnis von Staatsbürgerschaft angesichts verschiedener (kultureller) Identitäten überholt?
- Staatsbürgerschaft “neu denken”: was ist das zeitgemäße Verständnis?
- Welche Voraussetzungen müssen unbedingt erfüllt werden, um in Zukunft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen?
- Wie kann man die Staatsbürgerschaftsdebatte abseits der Wahlkampagnen und politischer Ideologien einzelner Parteien führen?
Dipl.Soz. Wiss. Kenan Dogan Güngör
deutscher Soziologe, Politikberater und Experte für den migrationsgeprägten gesellschaftlichen Wandel
Das restriktive Staatsbürgerschaftsrecht in Österreich und die erschwerten Zugangsvoraussetzungen machen die Einbürgerung immer unattraktiver. Verstärkt wird dieser Effekt durch Gleichstellungsrichtlinien der EU, bei der Drittstaatsbürger:innen in vielen Bereichen, außer dem Wahlrecht, den österreichischen Staatsbürger:innen gleichgestellt sind. Das hat eine konträre Entwicklung zur Folge, da die Anzahl der Nicht-Wahlberechtigten steigt, während die der Einbürgerungen stagniert. Das führt zu einem defizitären Wahlsystem in der immer größere Menschengruppen von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden, obwohl sie zum Teil auch über Generationen hinweg ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben.
Vor allem für Kinder mit Migrationshintergrund, die in zweiter oder dritter Generation in Österreich leben, bedeutet diese restriktive Einbürgerungspolitik nicht nur eine politische, sondern auch symbolisch-emotionale Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft, in die sie hineingeboren wurden. Das begünstigt Verfremdungsprozesse und macht sie empfänglicher für nationalistische Vereinnahmungen bestimmter Herkunftsstaaten und dessen Vertreter:innen. Das dürfen wir nicht zulassen.
Es braucht daher eine vernünftige Anerkennungspolitik, bei der die Einbürgerung ein wichtiger Markstein ist. Gegenwärtig gleicht die Einbürgerungspolitik einer ausladenden Einladung und einem demütigenden Inkorporationsritual, dass bestimmte Grundrechte ausschließlich österreichischen Staatsbürger:innen als Vorrechte sichert. Doch Integration ohne Anerkennung funktioniert nicht!
BA. Marina Hanke
Vorsitzende der Wiener SPÖ Frauen, Abgeordnete zum Wiener Landtag & Mitglied des Wiener Gemeinderates
Die große Zahl der Menschen, die seit vielen Jahren hier leben, arbeiten, die hier geboren sind, ihren Bildungsweg absolviert haben, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben jedoch nicht wählen dürfen, ist ein großes Demokratiedefizit. Hier geht vor allem der gesamten Gesellschaft etwas verloren – nämlich die Mitsprache und Meinung von einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung. Es braucht dringend ein modernes Staatsbürger*innenrecht, denn wer hier lebt soll auch mitbestimmen können. Die derzeitige Regelung stellt viele Hürden auf, insbesondere finanzieller Natur. Beteiligung und Mitsprache darf jedoch keine Frage von finanziellen Ressourcen sein, Demokratie kein Recht der Privilegierten. Einige Punkte, die dringend geändert werden müssen: Ein in Österreich geborenes Kind soll automatisch bei Geburt zusätzlich die österreichische Staatsbürger*innenschaft bekommen, wenn
zumindest ein Elternteil fünf Jahre lang legal im Bundesgebiet aufhältig ist. Die Mindestaufenthaltsdauer bis zum Anspruch auf die österreichische Staatsbürger*innenschaft ist auf maximal fünf Jahre zu verkürzen. Die Staatsbürger*innenschaft soll all jenen Personen offenstehen, die in den letzten fünf Jahren für zumindest 36 Monate in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen waren. Nicht einzurechnen sind Monate, in denen zum überwiegenden Teil Leistungen der Sozialhilfe bezogen wurden. Dafür sind Einkommensnachweise als Voraussetzung zu streichen.
Um die Debatte über eine Lösung dieses Problems zu rationalisieren, kann beispielsweise eine internationale Perspektive helfen. Anderswo ist die Staatsbürger*innenschaft kein „hohes“, sondern einfach nur ein Wirtschaftsgut. Der heutige Zustand wirkt jedoch vor allem in höchstem Maße desintegrativ. Wenn man mitgestalten kann, wenn man gefragt und gehört wird, übernimmt man Verantwortung für die Zukunft einer Gesellschaft. Demokratie macht eine Gesellschaft stark – das ist immer, aber vor allem in Zeiten andauernder Krisen, das wichtigste Ziel.
Mag. Matthias Stadler
Bürgermeister der Landeshauptstadt St. Pölten
Die österreichische Bevölkerung wird immer älter – und würde ohne Zuwanderung schrumpfen. Das von seitens des rechten politischen Spektrums oftmals verbreitete Schreckgespenst des Verlusts der der österreichischen Kultur hält sich leider seit Jahrzehnten dennoch hartnäckig. Das friedliche Zusammenleben von Menschen mit verschiedenem kulturellem, sozialem und wirtschaftlichem Background birgt enorme Potenziale für eine Gesellschaft – so auch für die österreichische. Die Integration von MigrantInnen auf allen Ebenen ist für uns alle elementar. Als Bürgermeister der Landeshauptstadt St. Pölten erlebe ich Integration vor allem auf kommunaler Ebene – denn dort findet sie offensichtlich und vielschichtig statt. Sei es in Kultur- oder Sportvereinen, in den Bildungseinrichtungen oder politischen Organisationen, MigrantInnen sind ein wichtiger Bestandteil unseres Stadtgefüges. Dennoch gibt es in Österreich rund 1,4 Millionen ausländische StaatsbürgerInnen, deren Lebensmittelpunkt zwar hier zu verorten ist, die vom politischen Leben aber größtenteils ausgeschlossen sind. Die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist für diese Menschen nicht nur individuell von Bedeutung, sondern auch aus demokratiepolitischer Sicht wichtig. Wer hier lebt, arbeitet und schafft, dem soll auch die politische Teilhabe – durch Wahlen – möglich sein.
Die derzeitig geltenden Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft bringen vor allem Menschen, die aus sozio-ökonomischer Sicht benachteiligt sind, immer wieder zum Verzweifeln. Menschen, die viele Jahre in Österreich leben und arbeiten, die Österreich als ihre Heimat betrachten, laufen sich oftmals die Hacken wund. Eine zeitgemäße Vorgehensweise und vor allem eine zeitnahe Bearbeitung der Anträge wäre für alle Beteiligten wünschenswert.
Als Gesellschaft werden wir durch Vielfalt und Toleranz reicher. Diese Werte sind Grundwerte, die wir alle hochhalten müssen, um ein solidarisches, gleichberechtigtes und friedvolles Zusammenleben in Österreich zu ermöglichen.
Mag. Anna Prianichnikova
Forscherin
Die österreichische Gesellschaft, wie auch andere europäische Gesellschaften, altert, das heißt, dass die Zahl der Älteren die der Jugend bereits überwiegt. Daher sind Wege zu suchen, den Anteil der Jungen an der Gesellschaft zu vergrößern, indem Bürger anderer Nationalitäten angezogen und intensiv integriert werden. Eine der Möglichkeiten ist eine Erleichterung des Zugangs zur österreichischen Staatsbürgerschaft. Wichtig ist hier jedoch, welche Bevölkerungsschichten von Österreich angezogen werden sollen und welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen, um nach Österreich zu ziehen. Es geht vor allem darum, Menschen zu gewinnen, die sich in die österreichische Gesellschaft integrieren und hier arbeiten möchten.
Ein großer Teil der erwachsenen Bevölkerung des Landes ist anderen Kulturen gegenüber nicht aufgeschlossen, sondern in größerem Maße auf sich selbst konzentriert. Davon kommt auch die schwer veränderbare Haltung in Bezug auf „ihre“ österreichische Staatsbürgerschaft, ihre Identität.
Bürger/in ist eine Person, die die gesellschaftlichen Werte Europas teilt, die danach strebt zu arbeiten, Steuern an den Staat zu zahlen, in dem sie lebt, ihre Kinder auf eine angemessene Weise erzieht sowie ihr Talent und kulturelle Besonderheiten in diese Gesellschaft einbringt.
Erwachsene Familienmitglieder (nicht im Rentenalter) müssen 5 Jahre (z.B.) lang arbeiten und Steuern an den Staat zahlen, bevor sie die Staatsbürgerschaft erhalten, die Staatssprache (ab B1 und höher) lernen, damit sie sich problemlos verständigen und arbeiten können, und über die vom Land geforderten Kompetenzen verfügen. Das Absolvieren eines höheren Studiums in der deutschen Sprache, die hohe Integration, das Ehrenamt oder freiwillige Arbeit für den österreichischen Staat und/oder für die österreichische Gesellschaft oder andere Leistungen sind teilweise als Erwerbstätigkeit zu werten.
Dazu ist es notwendig, neben einer wissenschaftlich fundierten (politischen) Debatte zum Zusammenbruch von Wirtschaft und Sozialsystem OHNE Zuwanderung auf allen Ebenen, bis zu den den Gemeinden auch Kulturbühnen zu nutzen: Theater, Zeitungen, Literaturlesungen, kulturelle Fernsehprogramme. Ferner Bildungseinrichtungen wie Universitäten und Schulen einzubeziehen; Man soll die Anzahl der Kindergärten mit 2 Sprachen – Deutsch und einer Fremdsprache erhöhen. Schließlich die Abhaltung von Festivals, Messen und anderen öffentlichen Veranstaltungen zu fördern, die verschiedene Minderheiten und Kulturen repräsentieren. Interessante neue Erfahrungen aus anderen Ländern und dementsprechend anderen Kulturen sind den inländischen Firmen zu präsentieren.
PD Dr. Petra Herczeg
Studienprogrammleiterin und Senior Lecturer. Forschungsschwerpunkte: Migration und Medien; Interkulturelle Kommunikation und Journalismusforschung.
In meiner Habilitationsschrift „Das Maß der Würde. Ein Menschenrecht als kommunikative
Herausforderung“ habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie Würde in der
Berichterstattung vorkommt und habe davon ausgehend einen Würde-Index entwickelt, der
sich aus 14 Koeffizienten zusammensetzt und anzeigt, wie „würdevoll“ die Berichterstattung
ist. Ein wichtiger Indikator dabei ist die rechtliche Anerkennung – und zur rechtlichen
Anerkennung gehört – wenn gewünscht – auch die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem die
betroffenen Menschen schon lange Zeit leben. Nur die Staatszugehörigkeit gewährleistet,
dass Menschen zu allen Wahlen des Landes gehen können, sich aktiv und auch wählbar an
allen politischen Prozessen beteiligen können und die gleichen Reisefreiheiten genießen wie
ihre Mitbürger*innen.
Die Partizipation in der Gesellschaft ist daran gebunden, dass in demokratischen
Gesellschaften Ausverhandlungsprozesse stattfinden. Denn ohne Öffentlichkeit keine
Demokratie. Dies bedeutet aber auch, dass durch das Staatsbürgerschaftsrecht nicht nur
einzelne Rechte gewährleistet sind, sondern sich Menschen tatsächlich als Mitbürger*innen
fühlen können. Die Staatsbürgerschaft ist mit Verantwortung und Pflichten verbunden, die
autochthone Bürgerinnen und Bürger als Selbstverständlichkeiten wahrnehmen. Diese
rechtliche Anerkennung wird vielen Menschen nicht zugestanden.
In der Öffentlichkeit wird viel über die Ausdifferenzierung und Diversität von Gesellschaften
debattiert, aber oft gehen symbolische Zeichen oder Bekundungen nicht mit konkreten
Maßnahmen einher, und diese Aktivitäten verbleiben auf einer sehr affirmativen Ebene.
Traditionelle Konzepte von Staatsbürgerschaft sind überholt, Menschen, die im Land leben,
die Sprache gelernt haben und über unterschiedliche kulturelle Herkünfte und damit auch
kulturelle Identitäten verfügen, sollten die Möglichkeit haben, in die politischen
Entscheidungsprozesse aktiv einbezogen zu werden. Die Staatsbürgerschaft wäre dann auch
ein Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt, ein Instrument kulturelle Unterschiede zu
überbrücken und die ursprünglichen aus der Aufklärung kommenden Überlegungen zu
adaptieren, indem alte Ordnungen in Frage gestellt und unter den aktuellen
gesellschaftlichen Entwicklungen neu bewertet werden.
Einheit in Vielfalt und Vielfalt in einer staatlichen Gemeinschaft könnte dann auch ein
Anspruch sein, der mit der Staatsbürgerschaft verbunden ist.
Univ.-Prof. Doz. Dr. phil. Rainer Bauböck
österreichischer Soziologe, Politologe und Migrationsforscher.
Einbürgerungen sind im Interesse der Republik! „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“, lautet der erste Artikel des Bundesverfassungsgesetzes. Wer gehört aber zu diesem Volk? Laut Verfassungsgerichtshof sind das die österreichischen StaatsbürgerInnen und nur diese. Daher sind AuslandsösterreicherInnen bei nationalen Wahlen stimmberechtigt und Menschen ohne österreichischen Pass von allen allgemeinen Wahlen ausgeschlossen, egal wie lange sie schon hier leben und ob sie hier geboren wurden. Die einzige Ausnahme sind EU-BürgerInnen, die in den Gemeinden wählen dürfen, in Wien allerdings nur in den Bezirksvertretungen Stimmrecht haben. Nun gehört Österreich im europäischen Vergleich zu den Staaten mit den höchsten Zuwanderungsraten. Der Zugang zur Staatsbürgerschaft ist aber viel schwieriger als in allen vergleichbaren Ländern Europas. Dadurch entsteht eine immer weiter wachsende Kluft zwischen einer wachsenden Wohnbevölkerung und einer schrumpfenden Zahl von Wahlberechtigten. Laut aktuellen Schätzungen sind österreichweit 18% der Wohnbevölkerung über 16 Jahre vom Wahlrecht ausgeschlossen; in Wien sind das bereits ca. ein Drittel.
Die Folgen sind: (1) Die Interessen der migrantischen Bevölkerung werden in der Politik systematisch schlechter repräsentiert, weil es für Parteien wenig Anreiz gibt, um ihre Stimmen zu werben. (2) Die Repräsentativität der Abgeordneten wird zugunsten der älteren, einkommensstärkeren und ländlichen Bevölkerung verzerrt, weil die vom Stimmrecht Ausgeschlossenen durchschnittlich jünger sind, häufiger in Städten wohnen und weniger Einkommen haben. (3) Die Legitimität politischer Entscheidungen sinkt, wenn ein so großer Teil der Bevölkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen ist.
Dazu kommt, dass Einbürgerung nachweislich die soziale Integration von ImmigrantInnen bzgl. Arbeit, Wohnen und Bildung stärkt, allerdings nur dann, wenn sie im Zeitraum von etwa 4 – 6 Jahren nach der Einwanderung erfolgt. Für die zweite Generation der im Inland Geborenen ist es besonders bitter, dass sie erst einen Antrag auf Einbürgerung stellen müssen und dabei (abgesehen von der kürzeren Frist von 6 Jahren Aufenthalt) dieselben Hürden überwinden müssen wie die erste Generation der Zuwanderer.
Schließlich ist Österreich auch durch seine Ablehnung von Doppelstaatsbürgerschaften zunehmend isoliert. Nur mehr 22% der Staaten weltweit verbieten diese grundsätzlich sowohl bei der Einbürgerung als auch beim Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft.
Die Schlussfolgerung ist: Eine Reform des anachronistischen und demokratieschädigenden Staatsbürgerschaftsgesetzes ist überfällig. Die wichtigsten Punkte dabei sind: ein bedingtes Geburtsrecht auf Staatsbürgerschaft, wenn ein Elternteil schon 5 Jahren regulären Aufenthalt hat, eine drastische Senkung der Einkommenshürden, und die allgemeine Toleranz von Doppelstaatsbürgerschaften. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Menschen, die in Österreich beheimatet sind, ist kein Gnadenakt, sondern im Interesse der Republik. Das Volk, von dem das Recht ausgeht, darf kein exklusiver Verein von AbstammungsösterreicherInnen werden.
Mag.a Silvia Hruška-Frank
Direktorin der AK Wien und der Bundesarbeitskammer.
„Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit arbeiten in Österreich in allen Bereichen, ein Arbeitsleben ohne Migrant:innen ist mittlerweile unvorstellbar. Besonders hoch ist ihr Anteil in systemrelevanten Branchen wie Handel, Produktion oder im Gesundheits- und Pflegebereich. Ihr Beitrag, durch die Corona Krise zu kommen, war besonders hoch. Aber auch im Bau, Gastronomie und Hotellerie sowie im Dienstleistungssektor sind sie stark vertreten.
Dennoch erhalten unsere Kolleg:innen mit anderer Staatsangehörigkeit oftmals nicht die Wertschätzung , die ihnen zusteht. Nach wie vor erleben sie Diskriminierung im Arbeitsleben, etwa im Bewerbungsverfahren oder wenn sie bei Beförderungen übergangen werden. Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen ist mit diversen Hürden versehen, wodurch es nach wie vor immer wieder zu Problemen kommt, was langfristig zu einer geringeren Entlohnung und niedrigeren Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld oder Pension führt. Diese Herausforderungen müssen dringend gelöst werden!
Problematisch sind vielfach die rechtlichen Rahmenbedingungen des Aufenthalts und des Arbeitsmarktzugangs. Betroffen davon sind insbesondere Drittstaatsangehörige, da Kolleg:innen aus dem EU-Raum grundsätzlichen freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt haben. Kolleg:innen ohne sicheren aufenthaltsrechtlichen Status hingegen sind oftmals gezwungen, unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zu arbeiten: Erntearbeiter:innen werden immer wieder unter dem Kollektivvertrag bezahlt, für Paketzusteller:innen gelten keine Arbeitszeitregelungen und kein Mindestlohn. Es braucht daher faire Gesetze, die Ausbeutung unserer Kolleg:innen verhindern!
Dringend benötigen wir auch eine Reform des Staatsbürger:nnenschaftsrechts. Kolleg:innen, die bereits jahrelang, manchmal jahrzehntelang hier arbeiten oder hier geboren und aufgewachsen sind und Großartiges für unsere Wirtschaft leisten, sollen die Möglichkeit haben, ihre Rechte ohne Hürden in Anspruch nehmen zu können und sich an der Demokratie zu beteiligen.
Die Arbeiterkammer unterstützt alle Arbeitnehmer:innen, unabhängig von ihrer StaatsbürgerInnenschaft, bei der Wahl zum Arbeiterkammerparlament dürfen alle Kolleg:innen mitwählen, alle Kolleg:innen können unser Serviceangebot zu gleichen Bedingungen in Anspruch nehmen.“
Prof. Dr. Thomas Fritz
Pragmatiker, Forscher und Lehrer im Bereich Deutsch als Zweitsprache und Erwachsenenbildung
Die Erlangung der österreichischen Staatsbürger*innenschaft ist hierzulande fast unmöglich, finanzielle Hürden, die Verweigerung von Doppelstaatsbürger*innenschaft und lange Wartezeiten machen es Menschen schwer dies zu erlangen. Oftmals wird die Staatsbürer*nnenschaft als Höhepunkt einer Integrationsleistung angesehen, sie ist jedoch meiner Meinung – und nicht nur meiner Meinung nach der Ausgangspunkt für Integration, vor allem wenn wir Integration als Teilhabe am politischen Geschehen im Lande ansehen. Die Zahl der Menschen, die vor allem in Wien, zwar im wahlfähigen Alter sind, jedoch nicht wählen dürfen ist sehr hoch – an die 30% Wien weit, in Menschen Bezirzen viel höher, das stellt eine demokratiepolitische Zeitbombe dar und vor allem wird Migrant*innen immer wieder vorgeworfen, dass sie sich nicht am politischen Leben beteiligen, sie können das aber nicht.
Interessant finde ich die derzeitige Diskussion in Deutschland in der viele Forderungen, die auch in Österreich erhoben wurden – seit Jahren!! – umgesetzt werden sollen. Schnellerer Zugang (5 Jahre), bei besonderen Integratinosleistungen 3 Jahre – wobei dieser Punkt problematisch ist, denn hier wird Assimilationsdruck ausgeübt, Doppelstaatsbürger*innenschaft möglich.
Zumindest daran könnte sich die österreichische Regierung orientieren.
Und auf jeden Fall müssen wir weg vom ius sanguinis (ein Erbe der Vergangenheit) zu einem ius solis, also wer in Österreich geboren wird, soll die Staatsbürger*innenschaft automatische erhalten. Die Debatte muss intensiv und losgelöst von traditionellen, nationalistischen und rückwärtsgewandten Argumentationen geführt werden. Wenn die CDU in Deutschland vor einer verrascmhung der Staatsbürgerschaft (absichtlich nicht gegendert!) spricht, dann wird klar, Staatsbürger*nnenschaft wird als Privileg angesehen. Sie ist jedoch eine menschenrechtliche und vor allem eine demokratisch-politische Notwendigkeit.
Yener Polat
Obmann des interkulturellen Vereins MOTIF
Viele Menschen, die nach Österreich gezogen sind, haben dies gerade wegen den hier geltenden Werten getan. Sie sind aus undemokratischen oder unsozialen Systemen geflüchtet. Sie haben sich hier eingelebt, akzeptieren und leben die europäischen Werte. Deshalb ist es wichtig, diesen Menschen durch einen leichteren Zugang zur Staatsbürgerschaft auch die Teilhabe und Mitgestaltung dieser Werte und Gesellschaften zu ermöglichen.
Ich bin Obmann des interkulturellen Vereins MOTIF. Ziel dieses Vereins ist es verschiedene Kulturen in Austausch zu bringen und dadurch gegenseitiges Kulturverständnis zu fördern. Die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen, kann nicht bedeuten, die ursprüngliche Kultur aufzugeben. Andererseits muss es selbstverständlich sein, dass alle Österreicherinnen und Österreicher gemeinsam an der Gesellschaft mitwirken. Alles Tun, das exklusive und extreme Parallelgesellschaften fördert, ist gefährlich für den sozialen Zusammenhalt.
Es ist wichtig zu überprüfen, inwiefern Menschen die Werte wie z. B. Demokratie und Menschenrechte wirklich leben. Ein perfektes Deutsch oder Kenntnis der Geschichte Österreichs muss nicht gleichbedeutend mit einem Einstehen für Werte wie Religions- oder Meinungsfreiheit sein. Andererseits muss das Weiterführen der Kultur aus den Ursprungsländern nicht ein Widerspruch zu diesen Werten sein.
Es gilt aktuelle Strömungen in das Staatsbürgerschaftsverständnis einbauen.
Als Lehrer ist mir besonders wichtig, dass alle Staatsbürger vertrauensvoll in Gemeinschaft miteinander leben und auch an ihr aktiv beteiligen. Das bedeutet, dass zum Beispiel in den Schulen alle Kinder an allen Aktivitäten teilnehmen und alle Eltern sich dieser Gemeinschaftsarbeit verpflichtet fühlen.
Es gilt die Rechte und Pflichten, die mit der österreichischen Staatsbürgerschaft verbunden sind allen hier lebenden Menschen klar zu machen. Das sollte nicht in Wahlkämpfen sondern in der Schule und der Erwachsenenbildung thematisiert werde. Damit alle Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft oder die sie anstreben, wissen, was in der österreichischen Verfassung steht, welche Rechte und Pflichten sie haben.