Integration in Zeiten von COVID-19

Welche Einflüsse hat die Corona-Pandemie auf die Integration in Österreich? (Laut dem „Expertenrat für Integration“ des Bundeskanzleramts werden „Defizite in der deutschen Sprache sichtbarer, Kinder mit Migrationshintergrund durch Homeschooling zurückgeworfen, MigrantInnen sind noch stärker von Arbeitslosigkeit betroffen und segregative Tendenzen können sich verschärfen“.) Welche konkreten Maßnahmen braucht es, um den Auswirkungen der Coronakrise in diesem Bereich entgegenzuwirken?

Christoph Wiederkehr

Christoph Wiederkehr, MA

Vizebürgermeister Wien, Stadtrat für Bildung, Jugend, Integration und Transparenz, NEOS

Die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie ist für alle sehr belastend. Doch besonders vulnerable Gruppen bedürfen eines speziellen Schutzes und spezieller Maßnahmen. Deshalb war es für uns sehr wichtig, die derzeitigen Integrationsmaßnahmen entsprechend anzupassen und rasche und niederschwellige Schritte und Angebote zu setzen, um niemanden zurückzulassen. Bereits seit Beginn der Corona-Krise stehen die Integrationsabteilung der Stadt Wien sowie ihre geförderten Vereine in engem Austausch mit der zugewanderten Bevölkerung und mit Migrantenselbstorganisationen. Sie dienen als Multiplikatoren und Ansprechpersonen, um schnell aktuelle Informationen zu den COVID-19-Verordnungen in der Herkunftssprache zu vermitteln.

Prinzipiell bräuchte es zusätzliche mehrsprachige Informationen, damit die gesamte Bevölkerung erreicht wird und Missverständnissen vorgebeugt werden kann. Auf Bundesebene wurden solche Materialien leider nur langsam und unzulänglich zur Verfügung gestellt. Die Magistratsabteilung Integration und Diversität hingegen stellt bereits seit März 2020 den Corona-Info-Service in 26 Sprachen zur Verfügung. Mit mittlerweile fast 2.000 Kontakten wurde dieses Angebot auch sehr gut angenommen. Darüber hinaus werden nach wie vor spezielle Angebote wie Facebook-Live-Gespräche, Webinare, Online-Sprachcafés, Frauen-Gruppen-Chats und Newsletter angeboten und von den jeweiligen Communitys gut genutzt.

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Mag.a Aygül Berivan Aslan

Abgeordnete zum Wiener Landtag und Gemeinderat, Integrationssprecherin Grüner Rathausklub

Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie sind von der Pandemie besonders betroffen. Das liegt daran, dass sie häufiger in beengten Wohnverhältnissen sowie oftmals in dichter besiedelten Gebieten leben oder weniger Wohnfläche pro Person zur Verfügung haben, was ein Ansteckungsrisiko zusätzlich erhöht (Stichwort: der Park als „zweites Wohnzimmer“).

Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie sind außerdem mit erheblichen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert – und das gleich doppelt: Einerseits erschweren instabile, prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder eine kürzere Betriebszugehörigkeit die Arbeitsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Sie sind außerdem öfter in systemnahen Berufen tätig und haben daher kaum die Möglichkeit, digital von zu Hause aus zu arbeiten. Andererseits gehören Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie gleichzeitig zu jener Gruppe, für die Arbeitslosigkeit ein massives Problem darstellt, da die Diskriminierung in Zeiten der Wirtschaftskrise zunimmt. Aufgrund der fehlenden Netzwerke gestaltet sich für sie die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz schwieriger.

Die Integration in den Arbeitsmarkt war für Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie schon immer schwierig, aber in Zeiten der Pandemie sind die Bedingungen zusätzlich erschwert. Eine Pandemie bedeutet für viele den Verlust des Arbeitsplatzes – und damit gleichzeitig geringere Chancen auf einen Wiedereinstieg. Besonders Frauen sind von diesen Entwicklungen stark betroffen. Durch Mehrfachbelastung, finanzielle Ungleichbehandlung und oft auch traditionelle Rollenbilder gilt für Frauen eine verstärke Belastung.

Mit den COVID-19-Einschränkungen geht auch eine Exklusion vom gesellschaftlichen Alltag einher, was besonders in Hinblick auf den Austausch und das soziale Leben, aber auch den Kommunikationsfluss die Maßnahmen betreffend, verheerend ist. Gerade deshalb muss auf Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie besonders Rücksicht genommen werden.

In Zeiten der Pandemie brauchen Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie mehr denn je Unterstützung. Zur Erreichung dieses Ziels braucht es ein entsprechend ausgeweitetes Förderbudget für den Integrationsbereich. Denn wenn kein Geld fließt, kann auch keine effektive politische Integrationsarbeit gemacht werden.

Auf politischer Ebene sollten Arbeitsgruppen zum Thema „Integration von Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie in den Arbeitsmarkt“ eingerichtet und branchenspezifische Maßnahmen erarbeitet werden. Weiters braucht es aktive Unterstützungsprogramme am Arbeitsmarkt, eine gezielte mehrsprachige Kommunikation der COVID-19-Verordnungen an die einzelnen Communitys sowie Mittel für den technischen Support den Bildungssektor betreffend (Laptops, spezifische Fernunterrichtsangebote etc.).

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Sandra Ivkic

Gesamtleitung Integrationsmaßnahmen ÖIF – Österreichischer Integrationsfonds

Die COVID-19-Pandemie hat für den Integrationsbereich, der vom zwischenmenschlichen Austausch und Kontakt lebt, große Herausforderungen mit sich gebracht. Das Erlernen einer neuen Sprache, das Fußfassen in einer neuen Gesellschaft, das Kennenlernen einer neuen Kultur – all das lebt vom Austausch zwischen Menschen und wird durch die Pandemie-bedingten Einschränkungen massiv erschwert. Um Flüchtlinge und ZuwanderInnen trotz geltender Einschränkungen weiterhin bestmöglich in ihrem Integrationsprozess zu unterstützen, stellt der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) bereits seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 eine breite Palette an Integrationsangeboten in digitaler Form zur Verfügung und baut diese laufend aus. Durch die Etablierung von täglichen Online-Deutschkursen auf mehreren Sprachniveaus hat der ÖIF ein ergänzendes Angebot zum regulären Kursbetrieb geschaffen und konnte seither rund 45.000 TeilnehmerInnen während der Corona-bedingten Einschränkungen beim Deutschlernen unterstützen.

Um sicherzustellen, dass auch Menschen mit geringen Deutschkenntnissen Zugang zu aktuellen COVID-19-Informationen und -Bestimmungen haben, hat der Österreichische Integrationsfonds eine mehrsprachige Informationshotline eingerichtet, welche die wichtigsten Informationen zu COVID-19 in 17 Sprachen auf einer Website bündelt (die laufend aktualisiert wird), eine telefonische Informationskampagne durchgeführt sowie mehrsprachige Online-Beratungen gestartet, in deren Rahmen MigrantInnen und Flüchtlinge mehrmals täglich zu den aktuellen Sicherheits- und Hygienemaßnahmen in Bezug auf COVID-19, den Testmöglichkeiten in den Bundesländern und die Impfstrategie der Bundesregierung informiert werden.

Löhlein

Mag. Oliver Löhlein

Landesgeschäftsführer Arbeiter-Samariter-Bund Wien

Die Corona-Pandemie trifft jene Personen am stärksten, die auch davor schon von Ausgrenzung und schlechteren Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsmarkt oder im Bildungssektor betroffen waren – Stichwort „Working Poor“. Es braucht eine teilhabeorientierte Integrationspolitik, die Personen mit Migrationsbiografie den Zugang zu Bildung, Studium und Arbeit, aber auch zu Kunst und Kultur usw. ermöglicht und diesen auch individuell fördert sowie den Austausch ALLER in Österreich lebenden Menschen in den Mittelpunkt rückt und den Fokus auf das Gemeinsame richtet. Viele Menschen haben aufgrund der Pandemie ihren Job verloren oder mussten Corona-bedingt ihre Ausbildung aussetzen und verlieren dadurch wertvolle Zeit. Damit eng verwoben sind eine erschwerte Existenzsicherung und ein Abrutschen in die Armutsspirale.

Es braucht daher finanzielle Maßnahmen seitens der Bundesregierung, um diesem Abwärtstrend entgegenzusteuern. Darüber hinaus braucht es einen gleichberechtigten Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten für Menschen mit Migrationsbiografie, um einem weiteren Aufgehen der „Bildungsarmutsschere“ entgegenzuwirken. Die Bildungsinstitutionen wie Kindergärten, Schulen usw. benötigen mehr Ressourcen für Kinder und Jugendliche, die Deutsch nicht als Erstsprache sprechen. Die Einführung der Deutschförderklassen ist nicht teilhabeorientiert, sondern hebt das Trennende hervor. Die Pandemie hat gezeigt, dass vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren oder. einkommensschwächeren Familien große Probleme hinsichtlich der technischen Ausstattung und des Internets hatten und haben, ohne die aber Distance Learning nicht möglich ist. Im Sinne einer teilhabeorientierten Integrations- und Bildungspolitik sollen aber alle Kinder einen gleichberechtigten und nachhaltigen Zugang zu Bildung haben und nicht davon ausgeschlossen werden.

Nurten Yılmaz

Nurten Yılmaz

Abgeordnete zum Nationalrat und Bereichssprecherin für Integration im SPÖ-Parlamentsklub

Wer hält unser Land am Laufen? Es sind die vielfältigen ArbeitnehmerInnen, die in den letzten Monaten der Corona-Krise besonders anpacken. Gerade in der Krise wird sichtbarer, worauf es ankommt: Ohne uns MigrantInnen würde die Gesundheitsversorgung zusammenbrechen. Ohne uns MigrantInnen könnte keine Pflegeeinrichtung aufsperren. Ohne uns MigrantInnen würde der gesamte Paketdienst nicht funktionieren. Ohne die unbezahlte Care-Arbeit von uns Frauen könnte auch kein Mann die Pakete unter ausbeuterischen Bedingungen ausliefern. Keine Baustelle würde ohne migrantische Arbeit jemals fertig. Das Gemüse und das Obst auf den Feldern würde verfault liegen bleiben.

Das war schon vor Corona so. Aber in der Krise ist es deutlicher geworden: Unser Österreich ist ein Einwanderungsland. Unser Arbeitsmarkt ist europäisch. Migration ist Normalität. Wir ArbeitnehmerInnen haben viele verschiedene Herkünfte, Erstsprachen und Geburtsorte. Und ich glaube, dass wir dieses Faktum – ohne die Arbeit von uns vielfältigen ArbeitnehmerInnen würde die ganze Wirtschaft stehen – auch offensiv einsetzen müssen: für das Ringen um höhere Löhne und um Respekt und Anerkennung für unsere Arbeit einzufordern, die wir und unsere Eltern beim Aufbau Österreichs leisten und geleistet haben. Damit wir nicht mehr länger hinnehmen, dass Politik und Staat unsere Kinder in und nach Klassen einteilen, sondern alle Kinder gleich gefördert werden. Und wer hier lebt und arbeitet, soll verdammt noch mal auch wählen dürfen! Teilhabe auf allen Ebenen, darum geht es.

Wir sind die wirklichen LeistungsträgerInnen im Land, nicht die Männer in Anzügen in ihren Glaspalästen. Es wird Zeit, dass wir uns unserer Macht als ArbeitnehmerInnen bewusst werden und uns nicht mehr mit symbolischem Getue oder paternalistischen Demutsgesten zufriedengeben. Schluss mit dem nationalkonservativen Integrations-Blabla! Gleiche Teilhabe, höhere Löhne, Wahlrecht und ein freies und gleiches Land! Lassen wir uns nicht länger nach Herkunft oder Erstsprache spalten, sondern bauen wir nach Corona gemeinsam eine gerechtere Zukunft, ein gerechteres Land!

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Doz.in Dr.in Pamela Rendi-Wagner, MSc

SPÖ-Bundesparteivorsitzende und SPÖ-Klubobfrau im Nationalrat

Die Corona-Pandemie zeigt auf beispiellose Art und Weise, was unserer Gesellschaft in Krisenzeiten Schutz gibt: Es ist der Sozialstaat mit seinem starken öffentlichen Gesundheitssystem. Es sind die Pflegekräfte, die VerkäuferInnen in den Supermärkten, die MitarbeiterInnen im öffentlichen Verkehr, die unser Land trotz des Lockdowns am Laufen halten. Viele von ihnen sind Menschen mit Migrationshintergrund, die tagtäglich für uns da sind.

Die Corona-Pandemie zeigt auch, dass wir diese Krise nur gemeinsam bewältigen können. Zusammenhalt und Solidarität braucht es auch, wenn es darum geht, Menschen in unsere Gesellschaft aufzunehmen und zu integrieren. Dabei ist die Frage der Chancengleichheit zentral. In unserer freien und solidarischen Gesellschaft muss jeder die Möglichkeit haben, seinen Beitrag zu leisten und sich einzubringen. Damit das möglich ist, braucht es gerechte Bildungschancen für alle Kinder, unabhängig von Herkunft, Religion oder der Geldbörse der Eltern.

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Nicole Sonnleitner

Leiterin Unabhängiges LandesFreiwilligenzentrum – ULF

Freiwilliges Engagement spielt im Prozess der Integration ohne jeden Zweifel eine bedeutende Rolle: Es eröffnet die Chance, neue soziale Kontakte zu knüpfen, zusätzliche Kompetenzen zu erwerben, freie Zeit sinnstiftend zu nutzen, teilhaben zu können und sich damit einer Gesellschaft zugehörig zu fühlen. All das gilt sowohl für jene, die nach Österreich flüchten mussten oder konnten, als auch für jene, die deren Neuanfang hier unterstützen wollen.

Zurzeit ist all das noch schwieriger, noch herausfordernder. Die epidemiologisch notwendigen Maßnahmen zur Verringerung unserer Mobilität schaffen leider nicht nur die beabsichtigte „Physical Distance“, sondern oft auch „Social Distance“. Die Folgen: Einsamkeit, Perspektivlosigkeit und Antriebslosigkeit.

Während VirologInnen, EpidemiologInnen, ImpfstoffentwicklerInnen, ÄrztInnen und PflegerInnen mit der Bewältigung der Gesundheitskrise befasst sind, müssen unsere Energie und Aufmerksamkeit der sich abzeichnenden sozialen Krise gelten. Wir müssen alles daransetzen, miteinander in Kontakt und im Gespräch zu bleiben – und wir müssen dabei kreativ sein. Wir müssen uns neue, mitunter ungewöhnliche Wege und Strategien einfallen lassen und erproben. Wir dürfen keine Angst vor neuen Technologien haben und uns nicht zieren, neue Allianzen einzugehen, nur weil wir damit scheitern könnten. Alles, was wir jetzt erfolgreich umsetzen, hilft, die Zukunftschancen einzelner Menschen und Familien zu sichern und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht weiter bröckeln zu lassen. Das, womit wir scheitern, muss uns helfen, zu lernen, wie wir es schnell besser machen können.

Wenn die Corona-Krise eines gezeigt hat, dann dass es in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft niemand mehr alleine richten kann, sondern dass es auf uns alle ankommt. Nicht nur aus epidemiologischer Perspektive trägt jede und jeder von uns Verantwortung für alle anderen: In sozialer Hinsicht verhält es sich ganz genauso. Für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ist freiwilliges zivilgesellschaftliches Engagement deshalb schlicht unverzichtbar.

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Mag. Michael Fanizadeh

Bereichsleiter Migration, Entwicklung & Antidiskriminierung, VIDC Global Dialogue

Als eine der ältesten und traditionsreichsten Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit in Österreich sind wir besorgt darüber, dass die COVID-19-Krise sehr langfristige und negative soziale, politische und ökonomische Folgen haben wird. Daher wünschen wir uns einerseits gezielte Fördermaßnahmen für geflüchtete Menschen, die in einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise besonders gefährdet sind. Gerade geflüchtete Frauen laufen besonders Gefahr, langfristig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden und somit vom Partner abhängig zu bleiben. Andererseits braucht es ein Zusammenspiel von integrativer Politik im Inland mit solidarischer Politik im Ausland, damit die Folgen der COVID-19-Krise auch von den ärmsten Ländern der Welt bewältigt werden können.

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Gottfried Waldhäusl

Landesrat Niederösterreich, FPÖ

Die Corona-Pandemie hat weitreichende Auswirkungen auf den Asyl- und Integrationsbereich. Die oberste Priorität ist hierbei der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Hierfür bedarf es einer verantwortungsvollen Handlungsweise in der Bewältigung entstehender Problemlagen.

Die Verbreitung des Coronavirus steht in engem Zusammenhang mit Personenkontakt und Personenverkehr im Bundesgebiet. Daher hat Landesrat Gottfried Waldhäusl zu Beginn des Lockdowns unverzüglich einen generellen Aufnahmestopp von Asylwerbern in die niederösterreichische Grundversorgung ausgesprochen, um die Sicherheit der niederösterreichischen Bevölkerung im höchsten Maße zu gewährleisten.

Die weitere Vorgehensweise war in enger Abstimmung mit den Maßnahmen des Bundes. Hierdurch soll eine möglichst direkte Umsetzung der Corona-Maßnahmen, auch im fremdenrechtlichen Bereich, sichergestellt werden.

Auch bei sonstigen Integrationsmaßnahmen liegt das Augenmerk auf Sicherheit und Schutz der Bevölkerung. Integrationsmaßnahmen wurden, sofern dies möglich und tunlich erschien, auf digitale Inhalte umgestellt. Projekte, bei denen ein solcher Umstieg nicht möglich war, wurden zum ehestmöglichen Zeitpunkt zurückgestellt oder beendet.

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Yannick Shetty

Abgeordneter zum Nationalrat, Sprecher für Jugend, Integration, LGBTIQ und Sport, NEOS

Die Corona-Krise hat in vielen Bereichen deutlich gemacht, welchen wertvollen Beitrag Menschen mit Migrationshintergrund tagtäglich in der österreichischen Gesellschaft leisten, sei es als sogenannte „SystemerhalterInnen“, in der Pflege oder in anderen Bereichen, in denen sie verstärkt tätig sind. Die Krise hat aber auch gezeigt, wie schnell Menschen durch den Wegfall sozialer Kontakte und intersektionelle Benachteiligung an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden können. Steigende Arbeitslosigkeit und der Wegfall von Sprach- und anderen Integrationskursen sowie sozialen Kontakten wirken sich auf MigrantInnen, Geflüchtete und subsidiär Schutzberechtigte besonders stark aus. Viele von ihnen leben in prekären Wohnverhältnissen, haben kein vergleichbares soziales Netz und kommen nur schwer an aktuelle Informationen in ihrer Muttersprache. Homeschooling ist zudem für Familien mit nicht-deutscher Muttersprache oft eine Herkulesaufgabe.

Es gilt hier, insbesondere im Bildungsbereich, mit aller Kraft gegenzusteuern: Es braucht dringend mehr sozialpädagogisches und mehrsprachiges Personal an den Schulen sowie Räumlichkeiten und technisches Equipment für all jene Kinder und Jugendlichen, die drohen, im Distance Learning den Anschluss zu verlieren. Es braucht dringend mehr psychologische Therapieplätze in den jeweiligen Erstsprachen, insbesondere in der Kinderpsychiatrie, denn Therapieplätze mit Dolmetschung sind enorm rar. Eine Lehrstellenoffensive kommt gerade jungen Menschen, insbesondere mit Migrationshintergrund, zugute. Außerdem braucht es auf Landesebene eine zentrale Schnittstelle für Integrationsagenden, die allen Menschen in Österreich einen niederschwelligen Zugang zu Unterstützung und Informationen bereitstellt. Eine solche Integrationskoordination ist in Wien bereits in Planung. Von diesen Maßnahmen profitieren nicht nur MigrantInnen und Geflüchtete, sondern die gesamte Gesellschaft. Denn nur gemeinsam kommen wir gut durch diese Krise.

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Senol Grasl-Akkilic, BA

Volkshilfe Wien

Die Corona-Krise trifft unterschiedliche Gesellschaftsgruppen sehr differenziert. Während wohlhabende Familien über genug Raum und die nötige Infrastruktur verfügen, leidet ein wesentlicher Teil der Bevölkerung darunter, dass ihre Kinder nicht über die notwendigen technischen Mittel und über zu wenig Raum verfügen, um in Ruhe leben und lernen können. Die Schulschließungen treffen diese Gruppe besonders hart. Die Corona-Krise hat abermals die Bedeutung der MigrantInnen, besonders in sogenannten systemrelevanten Berufsgruppen wie Handel, Bau, Pflege und Gesundheit etc., unterstrichen. Der Rassismus hat sich im Umgang mit der Pandemie kulturalisierend verdeutlicht. Nun spitzt sich der Rassismus unter dem Slogan „Heimatschutz statt Mundschutz“ zu, der brandgefährlich ist. Wir haben uns bemüht, über unsere Facebook-Seite den Stimmen der Zivilgesellschaft Gehör zu verschaffen, darunter auch viele MigrantInnenvereine, und haben sichtbar gemacht, unter welchen Umständen diese NGOs in Zeiten von Corona ihre Arbeit geleistet haben.

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Stefan Berger

Bezirksparteiobmann Wien-Favoriten, Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Wiener Gemeinderats, FPÖ

Die Corona-Pandemie mit ihren mittlerweile in Österreich zum Teil vorherrschenden „Dauer-Lockdowns“ erschwert Integrationsbemühungen noch weiter. Vor allem das sogenannte „Homeschooling“ und die Unterbindung sämtlicher Vereinsaktivitäten (Sport, Musik etc.) reduzieren bis verunmöglichen soziale Kontakte, die jedoch unerlässlich für eine nachhaltige Integration sind. Der Umstieg auf elektronische Geräte ersetzt den persönlichen Kontakt im Integrationsbereich keinesfalls. Die Bundesregierung war und ist als Hauptverantwortlicher gefordert, Risikogruppen besonders zu schützen, um einen regelmäßigen Schulbetrieb, aber auch persönliche Sozialkontakte zu ermöglichen.

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Mag.a (FH) Manuela Schagerl

Geschäftsführerin Access Guide Magazin, Institut Phönix Project und Consana Zentrum

Unser Institut bietet vielfältige Angebote zur psychosozialen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Deren Situation hat sich während der Corona-Pandemie noch weiter verschlechtert. Angsterkrankungen, Depressionen, soziale Isolation und Einsamkeit haben im Lockdown nicht nur Menschen mit psychischen, sondern auch solche ohne Vorerkrankungen betroffen. In diesen herausfordernden Zeiten der sozialen Distanzierung war und ist es uns besonders wichtig, weiterhin in Beziehung zu bleiben. Nur wenn die Schwächeren von den Stärkeren geschützt werden, kann eine inklusive Gesellschaft verwirklicht werden. Konkret würde ich mir wünschen, dass es künftig ein besseres Verständnis für psychische Erkrankungen gibt und dass Betroffene nicht mehr unter Stigmatisierung und Ausgrenzung leiden müssen.

Wir haben großes Verständnis für die Notwendigkeit der Maßnahmen gegen die Pandemie. Aber es ist höchst an der Zeit, nicht nur die Folgewirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft, sondern die negativen Auswirkungen auf die Psyche sehr vieler Menschen auch volkswirtschaftlich zu betrachten. Wir müssen JETZT Strategien und Konzepte planen und starten, wie wir möglichst ohne Zeitverlust jene Menschen rehabilitieren und unterstützen können, deren psychosoziale Gesundheit gelitten hat. Wir sehen, dass es differenzierter Überlegungen bedarf, je nachdem in welcher Lebensphase sich jemand befindet und ob psychiatrische Vorerkrankungen bestehen. Unsere Beobachtung ist, dass die Zahl jener Menschen, die durch die Pandemie erstmals in eine psychische Krise geraten sind, gestiegen ist.

Es ist für uns als Gesellschaft UND als Volkswirtschaft absolut vorrangig, den drohenden Auswirkungen durch den Anstieg von psychischen Erkrankungen mit aller Kraft ein Bündel an Maßnahmen entgegenzuhalten und alles dafür zu tun, dass es zu keinem Welleneffekt kommt.

Andrea Klambauer, Neos, Salzburg, 20200710, ©www.wildbild.at

Mag.a (FH) Andrea Klambauer

Landesrätin Salzburg, Referentin für Entwicklungszusammenarbeit, Erwachsenenbildung, Gemeindeentwicklung, Integration, öffentliche Bibliotheken, Jugend & Generationen, NEOS

Die Belastungen aufgrund der Corona-Pandemie sind für alle Menschen groß, doch besonders problematisch ist, dass bereits bestehende Ungleichheiten noch verstärkt werden. Soziale Vulnerabilitätsfaktoren wie prekäre Wohnverhältnisse, finanzielle Nöte, Arbeitslosigkeit, geringe Integration und damit einhergehend fehlende soziale Unterstützung werden intensiv spürbar. Darüber hinaus sind für Kinder mit Migrationshintergrund die Sprachförderung und der Spracherwerb im Kindergarten essenziell für den Übergang in die Schule. Diese waren jedoch über Monate hinweg nicht möglich. Familien mussten die Bildungsaufgaben der Schulen übernehmen, wofür entsprechende Ressourcen notwendig sind. Durch fehlende Kenntnisse über das Schulsystem und die Sprache bis hin zu fehlender technischer und räumlicher Ausstattung war für viele Kinder eine Unterstützung im Familiensystem nicht ausreichend möglich. Die besonderen Belastungen für Familien mit Migrationshintergrund lassen sich lange fortsetzen. So waren unsere Bemühungen seit Beginn der Corona-Pandemie darauf ausgerichtet, diese besondere Härte abzufedern.

Die besten Erfolge wurden über die aufgebauten Kontakte zu den verschiedenen Communitys erreicht. Das über Jahre hinweg aufgebaute Netzwerk mit den verschiedenen Vereinen wurde intensiv genutzt, um Informationen zu teilen und Antworten zu geben. Nur durch diese MultiplikatorInnen war es in dieser Zeit möglich, eine Vielzahl an Menschen zu erreichen. Besonders die bereits etablierten GesundheitslotsInnen haben als Anlaufstelle innerhalb der Communitys eine wichtige Rolle gespielt.

Wesentlich für die Unterstützung im Bereich der Integration ist ein Vertrauensverhältnis zwischen den AkteurInnen der Behörde und den MultiplikatorInnen in den Communitys sowie den Vereinen. Ein solches Netzwerk muss in guten Zeiten aufgebaut und gepflegt werden, damit es in Krisenzeiten funktioniert und genutzt werden kann. Es hat sich gezeigt, dass Informationen über diese Kontakte auch mittels Newsletter vielfach geteilt wurden.

Während der Zeit der Corona-Pandemie gab es aber natürlich auch Rückschritte. So war der Spracherwerb deutlich eingeschränkt. Eine Sprache zu lernen und zu üben, ist weder mit Maske noch mit Online-Kursen gut möglich. Darauf braucht es im Anschluss an die Pandemie besonderes Augenmerk. Ein entsprechendes Angebot wird bereits jetzt vorbereitet.

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Mag.a Aleksandra Panek

Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen, Koordination der Anlaufstellen für Personen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen

Das achte, durch die Corona-Krise gekennzeichnete Jahr des Bestehens der österreichischen Anlaufstellen für Personen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen (AST) hat die Notwendigkeit folgender Maßnahmen im Bereich der Integration bestätigt:

Die Arbeitsmarktchancen von Personen mit einem ausländischen Bildungsabschluss unterscheiden sich von jenen mit einem inländischen Abschluss deutlich. Laut dem Integrations- und Diversitätsmonitor 2020 sind in Wien bis zu 28 Prozent der Personen mit höherer Bildung aus Staaten der EU/EFTA und bis zu 38 Prozent der Personen mit vergleichbaren Abschlüssen aus Drittstaaten in Hilfs- und Anlerntätigkeiten beschäftigt. Für die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationsgeschichte ist die Zeit der Pandemie eine Herausforderung, weil MigrantInnen oft in den besondere Maßnahmen benötigenden systemrelevanten Branchen (Handel, Tourismus, Dienstleistung) beschäftigt sind. Für den Pflegereformprozess/die Pflegekräftesicherung wurden seitens des AST-Netzwerks Anerkennungsempfehlungen erarbeitet. Auch die Information und Unterstützung für ArbeitgeberInnen sowie die Schaffung einer Prozesskette, auch als Instrument zur Sicherung der Fachkräfte (Einwanderung -> Anerkennung -> Arbeitsaufnahme) sind notwendig.

Die von den AST-Anlaufstellen angebotene Anerkennungsberatung soll zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen und -situation der Erwerbsbevölkerung mit Migrationshintergrund bzw. mit mitgebrachten Qualifikationen beitragen. Auch der Ausbau und die Weiterentwicklung von arbeitsmarktpolitischen Betreuungsmaßnahmen, die auf mitgebrachten Qualifikationen aufbauen („Check In Plus“), sind, basierend auf den Erfahrungswerten, empfehlenswert.

Die eingeschränkte Besuchsmöglichkeit von Deutschkursen und Weiterbildungen hat verursacht, dass die KlientInnen der AST-Anlaufstellen ihre davor geplanten Aktivitäten im Rahmen der Anerkennung ihrer mitgebrachten Qualifikationen zum Teil einstellen mussten. Deswegen erscheint die Weiterbildungsförderung, die bereits seitens der arbeitsmarktpolitischen AkteurInnen durchgeführt wird, extrem wichtig.

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Simone Peschek, MA

Redakteurin Schulgschichtn

Als Lehrerin an einer Mittelschule in Wien beobachte ich, wie herausfordernd das Homeschooling für manche SchülerInnen ist. Besonders jene, die zu Hause wenig Hilfestellung bekommen, über wenige Ressourcen verfügen oder in beengten Wohnverhältnissen leben, kommen mit den Aufgaben oft nicht zurecht. Auch SchülerInnen, die in einer Deutschklasse oder in einem Deutschförderkurs sind, können im Homeschooling oftmals nicht erreicht und unterrichtet werden. Diese Gruppen werden durch die Corona-Krise zunehmend isoliert und verlieren teils auch die Motivation beziehungsweise wissen schlichtweg nicht, wie sie sich am Homeschooling beteiligen sollen.

Da wir wohl noch mehrere Monate oder sogar Jahre mit dieser Pandemie leben müssen, ist es wichtig, neue Perspektiven für die Schulen zu schaffen. Die vielen Richtungswechsel und abwechselnden Maßnahmen verursachen Unsicherheit und Stress bei allen Beteiligten. Die Schulen brauchen klare Vorgaben und eine Lösung, die nachhaltig ist. Was ist also zu tun?

Neben der Anschaffung von Laptops, flächendeckendem WLAN und regelmäßigen Corona-Tests muss auch der Unterricht neu gedacht werden. Eine Mischung aus Präsenzunterricht in Kleingruppen und Aufgaben im Homeschooling wäre für SchülerInnen der Mittelschule in der aktuellen Situation ideal. So bleiben soziale Kontakte aufrecht, während das Virus eingedämmt wird. LehrerInnen könnten einzelnen Gruppen zugeordnet werden und projektbasiert unterrichten. Museumsbesuche müssten auch in Kleingruppen möglich sein. Weiters sollte die Notengebung überdacht werden: Die vielen Tests und Schularbeiten sind in dieser Ausnahmesituation ein weiterer Stressfaktor. Referate, Projektmappen oder Ähnliches könnten diese zumindest teilweise ersetzen.

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Herbert Kickl

FPÖ-Klubobmann und Abgeordneter zum Nationalrat

Der Schutz der Heimat ist ein Kernanliegen der freiheitlichen Partei. Aus dem Grundrecht auf Heimat leiten wir die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen Kontrolle des Zuzugs jener Menschen ab, die in Österreich eine neue Heimat suchen oder auch nur temporär in den Arbeitsmarkt einwandern wollen.

Trotz der gegenwärtigen Corona-Pandemie, aufgrund derer sich Millionen Österreicherinnen und Österreicher in ihrer Mobilität einschränken mussten, sind im Jahr 2020 rund 14.000 Menschen nach Österreich eingewandert, um Asylanträge zu stellen. Das entspricht einem Plus von circa 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

In Zeiten einer Gesundheitskrise und eines dadurch bedingten wirtschaftlichen Abschwungs wird es daher noch notwendiger, zukünftige Migrationswellen am Entstehungsort zu verhindern. Gleichzeitig gilt es, Menschen, welche aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen verfolgt werden, Asyl zu gewähren, sofern sie nicht über ein sicheres Drittland in unser Bundesgebiet eingereist sind.

Jedenfalls gilt es, Asyl als zeitlich befristeten Schutz vor Verfolgung bis zum Wegfall des Asylgrundes zu definieren und konsequenterweise einer ungehinderten und maßlosen Zuwanderung ein Ende zu setzen.

Gegenüber der heimischen Bevölkerung, aber auch gegenüber denjenigen, die sich in Österreich mit einem rechtmäßigen Aufenthaltstitel integrieren wollen, besteht die Pflicht, sich mit der konsequenten Rückführung von Ausländern zu befassen, die illegal nach Österreich eingereist oder aber hier straffällig geworden sind. Keinesfalls darf es ein Entgegenkommen für jene geben, die Sozialmissbrauch betreiben oder deren Asylansuchen abgelehnt wurde.

Ein falsches Entgegenkommen für diejenigen, welche unser Gesellschaftsmodell ablehnen, führt zu islamistischen Parallelgesellschaften unter dem Deckmantel des Multikulturalismus. Von der Gefährlichkeit dieses Islamismus zeugen die Toten und Verletzten des islamistischen Terrorangriffs vom 2. November 2020 in Wien.

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Mag.a Nicole Berger-Krotsch

Landtagsabgeordnete, Gemeinderätin und SPÖ-Bildungssprecherin

Gebetsmühlenartig wird seitens der Bundesregierung wiederholt, dass in Österreich alle Menschen von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie gleichermaßen betroffen seien. Tatsache ist aber, dass Menschen mit migrantischem Hintergrund überdurchschnittlich stark davon betroffen sind: Sie haben ein höheres Infektionsrisiko, verlieren schneller ihren Arbeitsplatz, ihr Schulerfolg leidet stärker und sie leben häufig in beengten Wohnverhältnissen.

Es ist bereits zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit von MigrantInnen gekommen. Ohnehin schon durchschnittlich geringere Einkommen wurden oft durch Kurzarbeit geschmälert und werden dadurch noch geringer. In den ersten Monaten der Pandemie wurde darüber hinaus festgestellt, dass MigrantInnen ein etwa doppelt so hohes Infektionsrisiko, eine höhere Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs und auch eine höhere Sterblichkeit aufweisen.

Kommunikationsbarrieren spielen dabei mit Sicherheit die entscheidende Rolle. Die Stadt Wien hat daher rasch Maßnahmen ergriffen, (lebens-)wichtige Informationen über Sicherheitsmaßnahmen und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in Türkisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch und Arabisch zu übersetzen. Mehrsprachiges Informationsmaterial wurde bereitgestellt, auf der Homepage der Stadt Wien wurde in unterschiedlichen Sprachen informiert und es wurde auch eine entsprechende Beratungs-Hotline eingerichtet.

Besonders problematisch sind aus unserer Sicht aber die Auswirkungen der Lockdowns auf Kinder mit Migrationshintergrund. Durch die Einschränkungen im Schulbetrieb und den fehlenden Austausch mit anderen Kindern funktioniert der sprachliche Aufholprozess langsamer, es fehlt tendenziell die Unterstützung durch die Eltern und der Rückstand beim Lernerfolg ist größer geworden. Das zeigen auch internationale Vergleichsstudien. Diesem zusätzlichen Förderbedarf hat das Bildungsministerium bisher nicht Rechnung getragen.

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Dr. Johannes Peyrl

Arbeiterkammer Wien, Arbeitsmarkt und Integration

Aufenthaltsrecht: Es sind dringend Erleichterungen nötig!

Personen, die in Österreich leben, aber weder ÖsterreicherInnen noch EWR-StaatsbürgerInnen (oder SchweizerInnen) sind, benötigen für ihren Aufenthalt einen Aufenthaltstitel. In Zeiten, in denen aufgrund der COVID-19-Pandemie die Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist und auch oft kein persönlicher Kontakt zu den Behörden möglich ist, sollten auch im Migrationsrecht Anpassungen vorgenommen werden, damit sichergestellt ist, dass niemand Gefahr laufen muss, aufgrund der Pandemie aufenthaltsrechtliche Nachteile zu erleiden oder sogar sein Aufenthaltsrecht zu verlieren. Sinnvoll wären insbesondere folgende Maßnahmen:

Alle befristeten Aufenthaltstitel sollten gesetzlich bis zum Ende der Einschränkungen (sinnvoll wäre z.B. bis zum 30.6.2021) verlängert werden. Zumindest darf es aber keine Nachteile durch zu spät gestellte Verlängerungsanträge geben.

Grundsätzlich müssen Drittstaatsangehörige persönlich bei der Aufenthaltsbehörde vorsprechen, um ihren Aufenthaltstitel zu verlängern. Dies ist aktuell oft nicht möglich. Die ersatzweise vorgesehene postalische oder elektronische Antragstellung ist aber faktisch und rechtlich mit großen Unsicherheiten verbunden. Eine automatische Verlängerung würde daher vielen Menschen Sicherheit geben – und genau das ist ein wesentlicher Eckpfeiler von Integration. Zumindest sollte sichergestellt werden, dass auch Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des befristeten Aufenthaltstitels gestellt werden, als Verlängerungsanträge gelten (in der Regel gelten zu spät gestellte Verlängerungsanträge als Erstanträge, die, wenn ein Antrag überhaupt möglich ist, oft vom Ausland aus gestellt werden müssen).

Keine Gefährdung des Aufenthaltsrechts, wenn durch Corona geringere Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen.

Wichtig wäre, dass Aufenthaltstitel auch dann verlängert werden können, wenn aufgrund der Corona-Krise nicht ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen (etwa durch COVID-19-bedingte Arbeitslosigkeit oder den Wegfall der Einkünfte). Auch das würde vielen Menschen Aufenthaltssicherheit geben.

Erteilung von Aufenthaltstiteln auch, wenn aufgrund von COVID-19-Restriktionen die Integrationsvereinbarung nicht erfüllt werden kann.

Weiters sollte zumindest befristet eine Regel eingeführt werden, dass Aufenthaltstitel auch ohne Erfüllung von „Modul 1 der Integrationsvereinbarung“ verlängert werden können, wenn dieses aus Gründen, die in Zusammenhang mit dem Lockdown stehen, nicht rechtzeitig erfüllt werden konnte. Das Gleiche sollte gelten, wenn Personen aus diesen Gründen das „Modul 2 der Integrationsvereinbarung“, das zur Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltsrechts erfüllt sein muss, nicht erfüllen können.

Wenn diese – und natürlich auch andere – Vorschläge umgesetzt würden, wäre ein wichtiger Beitrag dazu geleistet, dass KollegInnen, die sehr oft entscheidend dazu beitragen, dass wir gut durch die Krise kommen, keine Probleme mit ihrem Aufenthaltsrecht bekommen.

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Mag.a Alexandra Köck

Geschäftsführerin ZEBRA – Interkulturelles Beratungs- und Therapiezentrum

Das vergangene Jahr hat unser Zusammenleben vollständig durcheinandergewirbelt. Die persönliche Beziehungsebene, die für ein Gemeinschaftsgefühl essenziell ist, wurde auf ein Minimum reduziert. Menschen mit Migrationsbiografien erschwert diese Situation das „Fußfassen“ in Österreich. Zu Beginn der Pandemie ist deutlich geworden, wie wichtig die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt ist. Viele Falschmeldungen und Gerüchte haben vor allem bei MigrantInnen zu einer großen Verunsicherung geführt. Gute Aufklärungs- und Informationsarbeit braucht es in verschiedenen Sprachen.

Die COVID-19-Pandemie zeigt nach wie vor, welche Lücken es im österreichischen Bildungssystem gibt. Vor allem zu Beginn hat es Kinder und Jugendliche mit Migrationsbiografien, die zu Hause keine optimalen Rahmenbedingungen für Distance Learning vorgefunden haben, getroffen. Gute Maßnahmen wie u.a. die Sommerschule sollen weiter ausgebaut werden. Im Fokus muss dabei die Teilhabe aller interessierten SchülerInnen stehen, um ein „Brandmarken“ von Kindern mit migrantischen Biografien zu vermeiden.

Neben dem Bildungsbereich fordert vor allem der Arbeitsmarkt besondere Maßnahmen. Auf der einen Seite zeigt sich durch die Pandemie, wie wichtig Zuwanderung ist. An dieser Stelle soll nur exemplarisch auf die Pflegekräfte verwiesen werden, die einen besonderen Anteil am österreichischen Gesundheitssystem haben. Rasch entwickelte sich eine krisenhafte Situation, als Pflegepersonal nicht mehr aus den angrenzenden europäischen Ländern nach Österreich einreisen konnte. Auf der anderen Seite waren in einem ersten Schritt vor allem Menschen mit internationaler Biografien von Kündigungen und Kurzarbeit betroffen. Sowohl kurz- als auch mittelfristig braucht es nun Maßnahmen, die eine nachhaltige und existenzsichernde Perspektive schaffen. MigrantInnen brauchen gute Informations- und Weiterbildungsangebote und damit ein Signal, dass sie für den österreichischen Arbeitsmarkt wichtig sind.

Diese Pandemie bietet die Chance, das gesellschaftliche Zusammenleben zu stärken. Dazu braucht es ein offenes Ohr und den Willen zum Zuhören und Nachfragen. Durch das Wissen um die Sorgen, aber auch um die Erfolge der NachbarInnen, der MitarbeiterInnen und der SchülerInnen wird die Vielfalt, die der österreichischen Gesellschaft innewohnt, erlebbar. Damit alle ihren Platz in dieser Gemeinschaft finden, braucht es Angebote, Signale und eine entsprechende Haltung. Die Chance auf ein vielfältiges „Wir“ sollte nun genutzt werden.

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Dr.in med.vet. Helga Krismer-Huber

Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag, Die Grünen

Das Virus und die Lockdowns führen generell zu einer weiteren Isolation von Gruppen in der Gesellschaft, die bereits vor dem Virus um Wahrnehmung und eine Stellung in der Gemeinschaft gekämpft bzw. an den Rändern gelebt haben. Menschen mit Integrationsbedarf sind eine dieser Gruppen. Kurse, Treffen und der so wichtige soziale Austausch müssen hintangestellt werden. Für Kinder und Jugendliche ist diese Pandemie eine enorme Belastung: zum einen die anwachsenden Bildungsdefizite und zum anderen das Pausieren der für das soziale Lernen so wichtigen gemeinsamen Stunden mit Freundinnen und Freunden. Es sind alle gut beraten, bereits heute daran zu arbeiten, dass diese Lücken nach der Pandemie mit intensiven Programmen und Extra-Angeboten aufgefüllt werden, damit die Gesellschaft keinen nachhaltigen Schaden erleidet.

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Mag. Christian Ragger

Abgeordneter zum Nationalrat, FPÖ

Gelungene Integration bedeutet für mich die Verwirklichung der Teilnahmevoraussetzungen am öffentlichen Leben in Österreich von allen Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder ihres persönlichen Schicksals eine schlechtere Ausgangssituation haben. Viele Zuwanderer bringen natürlich trotz ihrer vielfältigen sprachlichen Bereicherung mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache mit, die im Berufsleben aber dringend benötigt sind. Ebenso sind besonders Menschen mit Behinderung häufig vom Berufsleben ausgeschlossen und weisen somit keinen eigenständig erarbeiteten Lebensunterhalt auf, was mit einer prekären finanziellen Situation einhergeht. Damit alle Menschen in Österreich die Verwirklichung eines angemessenen Daseins in Würde erreichen können, braucht es Inklusion als Kraftakt aller Beteiligten.

Neben dem Erwerb der Landessprache und dem Bekenntnis zur Demokratie und Verfassung als Bringschuld von Zuwanderern müssen wir besonders auf eine geeignete Bildung und Förderung in der Schule, eine niederschwellige Verwaltung und ein respektvolles Miteinander Wert legen. Ausgrenzung und Meidung gehören nicht dazu. Es ist einer offenen und freien Gesellschaft nicht zumutbar, dass die Menschenwürde mit Füßen getreten wird. Deshalb müssen wir verhindern, dass Menschen aufgrund äußerer Merkmale unterschiedlich behandelt werden. Es ist uns aber geboten, Personen, die sich nicht an unsere Gesetze halten, die öffentliche Ordnung stören oder etwa aus religiösen oder anderen Gründen zu Gewalt aufrufen, aus dieser Gemeinschaft auszuschließen. Jeder, der für unser Österreich einen Betrag leisten kann und möchte, ist hingegen herzlich eingeladen, an unserer Gesellschaft teilzunehmen. Damit nun Integration auch in Zeiten der Corona-Pandemie funktionieren kann, muss den Stellungnahmen von Experten aus dem Bildungsbereich sowie den Eltern und Lehrern Gehör geschenkt werden. Wenn die Schulen geschlossen bleiben, laufen wir Gefahr, Sprachdefizite zu vergrößern und Teilhabemöglichkeiten einzuschränken.

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Mag.a Julia Moser

Senior Director myAbility Social Enterprise

Integration in Zeiten von COVID-19: Welche Einflüsse hat die Corona-Pandemie auf die Integration in Österreich? Welche konkreten Maßnahmen braucht es, um den Auswirkungen der Corona-Krise in diesem Bereich entgegenzuwirken?

Ohnehin schon benachteiligte Menschen sind von Krisen noch stärker betroffen. Krisen wie die COVID-19-Pandemie decken Schwachstellen in unserem System auf und verstärken die Belastungen und Ausgrenzungserfahrungen in der Gesellschaft. Die Mechanismen der Marginalisierung verschiedener Gruppen ähneln einander und lassen sich ebenso durch ähnliche Strategien und Maßnahmen zur Inklusion auflösen.

„myAbility“ arbeitet seit vielen Jahren daran, die Gesellschaft aus der Wirtschaft heraus barrierefrei und chancengerecht zu machen. Dies gelingt vor allem durch das Aufzeigen der vielen Vorteile und Chancen von Inklusion, Barrierefreiheit und Diversität für Unternehmen und die Entwicklung von Inklusionsstrategien. So hilft „myAbility“ Unternehmen, die Potenziale von Menschen mit Behinderung als KundInnen und MitarbeiterInnen zu nutzen. Es hat sich gezeigt, dass Unternehmen, die schon vor der Krise in ihrem Arbeitsalltag und in ihrer Kommunikation auf Inklusion und Barrierefreiheit gesetzt haben, besser durch die Krise kommen.

Was vor der Krise galt, gilt jetzt umso mehr: Wir müssen Barrieren abbauen – sowohl in den Köpfen als auch in technischer, baulicher und struktureller Hinsicht – und dadurch allen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und der Arbeitswelt ermöglichen. Menschen mit Behinderung hatten es bereits vor der Pandemie auf dem Arbeitsmarkt schwerer und jeder Job, der jetzt in der Krise verloren geht, wird noch schwerer zurückzubekommen sein.

Der Digitalisierungsschub durch die Corona-Krise hat in manchen Bereichen neue Möglichkeiten geschaffen. Jedoch sind dadurch auch starke Defizite in Bezug auf die digitale Barrierefreiheit deutlich geworden. Auch digitale Barrierefreiheit ist eine Voraussetzung, damit alle Menschen am digitalen, sozialen und beruflichen Alltag partizipieren können. So müssen visuelle, auditive und sprachliche Hürden im digitalen Raum abgebaut und barrierefreie Tools eingesetzt werden, z.B. durch Gebärdensprache, Leichte Sprache, Untertitel, Sprachausgabe und Alternativtexte.

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Mag. Heinz Fronek

Diakonie Flüchtlingsdienst, Geschäftsführung Leitung Fachbereich Psychotherapie und Gesundheit

Die COVID-19-Pandemie ist ein Gesundheitsproblem. Leicht könnte man daher versucht sein, davon auszugehen, dass das Virus keinen Unterschied macht und alle Menschen gleich betrifft. Das ist allerdings nicht der Fall. Die Corona-Pandemie trifft MigrantInnen in Österreich besonders hart. Strukturelle Benachteiligungen haben sich zugespitzt. Die Vorurteile gegenüber und die Hindernisse für MigrantInnen haben an Gewicht zugelegt.

Häufig sind es MigrantInnen, die die Versorgung der Menschen in Österreich auch in der Pandemie sicherstellen, sei es als Alten- oder KrankenpflegerIn, RegalbetreuerIn, SupermarktkassiererIn, ErntehelferIn oder PaketbotIn. Anstelle fairer Entlohnung und sozialer Absicherung erhielten sie Applaus. Obwohl die gesellschaftliche Bedeutung der Leistungen von MigrantInnen aktuell sichtbar wird, sind sie verstärkt Anfeindungen im öffentlichen Raum ausgesetzt. Sie werden Opfer rassistischer Übergriffe und selektiver Polizeikontrollen.

Strukturelle Probleme, die auch schon vor der Pandemie bestanden haben, erscheinen in einem schärferen Kontrast. Spracherwerb, Arbeitsmarkt, Familie, Schule, Bildung und Wohnen: Alle Lebensbereiche sind davon betroffen.

Durch Lockdowns, die Einstellung des Präsenzunterrichts und die Aufforderung, den öffentlichen Raum zu meiden, werden prekäre Wohnverhältnisse unerträglich. Oft zählen MigrantInnen zu den Ersten, die ihren Job verlieren. Arbeitslosigkeit verstärkt den finanziellen, sozialen, psychischen und familiären Druck. Die Unterbrechung des Unterrichts an den Schulen und nicht stattfindende Sprachkurse reduzieren die Chancen auf eine spätere Integration in den Arbeitsmarkt.

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind für viele MigrantInnen schon jetzt schmerzhaft. Viele Folgeschäden werden zudem erst in den nächsten Monaten und Jahren ihre volle Wirkung entfalten, sei es bei der Verlängerung der Niederlassungsbewilligung, beim Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, beim Schulabschluss oder bei der Suche nach einer Lehrstelle oder einem Arbeitsplatz. Um diese für viele MigrantInnen existenzbedrohenden Kollateralschäden der Pandemie abzuwenden, fehlt es im Bereich der Politik bisher sowohl an der Wahrnehmung als auch am Willen.

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DI.in Gabriele Fischer

Tiroler Landesrätin für Integration, Die Grünen

Im Frühjahr konnte man im Zuge der ersten Phase der Corona-Pandemie ein „Zusammenrücken“ der Gesellschaft beobachten. Es gab viel Hilfsbereitschaft, auch über ethnische Grenzen hinweg. Unter den sogenannten „Heldinnen des Alltags“, also in den systemerhaltenden Berufen, waren viele Menschen mit Migrationsgeschichte. Das wurde auch positiv wahrgenommen.

Aktuell überwiegt ein Gefühl der Ermattung und Überforderung und damit auch die Gefahr negativer Entwicklungen, wie z.B. Schuldzuweisungen an bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie man es bereits im Herbst beobachten konnte. Dadurch steigt die Gefahr gesellschaftlicher Spaltungen. Integration muss deshalb gerade in Zeiten von COVID-19 weiterhin das Zusammenleben und die Zugehörigkeit in den Mittelpunkt stellen und Bewusstseinsarbeit dafür leisten.

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Nora Ramirez Castillo

Hemayat – Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende

Hemayat – Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende hat im vergangenen Jahr seine KlientInnen auch während der COVID-19-Pandemie durchgehend betreut. Die Corona-Krise hat eine starke Verunsicherung hervorgerufen und die psychische Belastung verstärkt. Insbesondere zu Beginn der Pandemie, während des ersten Lockdowns, waren kriegstraumatisierte Menschen an Ausgangssperren und ähnliche Situationen in ihrer Heimat erinnert, was auch zu Retraumatisierungen geführt hat. Unsere KlientInnen zeigten sich froh und erleichtert darüber, durch unsere MitarbeiterInnen telefonisch oder via Internet muttersprachlich oder dolmetsch-gestützt wichtige Informationen zu erhalten. Wir haben festgestellt, dass hier von offizieller Seite zu wenig und teilweise auch irreführend muttersprachlich informiert wurde. Dadurch wurden Falschinformationen, die in den verschiedenen Flüchtlingscommunitys kursierten, Tür und Tor geöffnet.

Besonders besorgt sind wir auch über die Situation von geflüchteten Kindern: Sie erhalten sehr viel weniger Unterstützung, um die Homeschooling-Situation zu bewältigen und gefördert zu werden. Zudem fehlen oft die finanziellen Mittel, um technische Geräte anzuschaffen. Auch merken wir, dass der Zugang von Kindern zu unserem Angebot abgenommen hat, da die notwendige Unterstützung durch die PädagogInnen fehlt.

Aus unserer Sicht braucht es aktuelle, transparente und muttersprachliche Information, die niederschwellig zugänglich gemacht wird. Wie im Gesundheitsbereich erprobt, könnten hier Peer-to-Peer-Modelle eingesetzt werden.

Ein besonderes Augenmerk braucht die Situation von Kindern und Jugendlichen: Hier müssen Maßnahmen ergriffen werden, um Lernunterstützung einerseits, aber auch andere Hilfsangebote zu vermitteln.

Die psychosozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie müssen in adäquater Form adressiert werden, um ein weiteres Aufgehen der Schere in Bezug auf die Chancengleichheit zu verhindern.

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Dipl.-Päd.in Kathrin Schindele

Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag, SPÖ

Die Corona-Pandemie hat auch unweigerlich Einfluss auf die Integration in Österreich und trägt zur Ausgrenzung bei. Auf der einen Seite wird all jenen Menschen, welche die Verordnungen nicht auf Anhieb verstehen, mancherorts Unwilligkeit vorgeworfen, obwohl man auch als Einheimischer oft Schwierigkeiten dabei hat, die ständig wechselnden Verordnungen zu verstehen. Auf der anderen Seite vergrößert die Pandemie bei Menschen, welche der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind, eine gewisse Unsicherheit.

Im Zuge dessen wird es wichtig sein, Informationen in allen Sprachen in die Öffentlichkeit zu tragen, sodass man tatsächlich alle in Österreich lebenden Menschen erreicht und die Verordnungen und Regeln von allen mitgetragen und weitergegeben werden können.

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Univ.- Prof. Dr. Dirk Lange

Leitung Demokratiezentrum Wien

Das Jahr 2020 hat das Thema Integration aus verschiedenen Perspektiven in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt: Die Corona-Pandemie hat kurzzeitig dazu geführt, dass Menschen in schlechter bezahlten Berufen, welche die Infrastruktur auch in Zeiten des Lockdowns aufrechterhalten haben, zu „HeldInnen des Alltags“ gemacht wurden. Viele dieser Menschen haben Migrations- oder Fluchterfahrung und sind nicht umfänglich in die Gesellschaft inkludiert. Der Mord an dem Afroamerikaner George Floyd im Mai des Vorjahres hat zu weltweiten Protesten gegen systemischen Rassismus geführt, auch in Österreich. People of Color haben auf Benachteiligungen aufmerksam gemacht, von denen sie regelmäßig betroffen sind und die einem demokratischen Zusammenleben im Wege stehen.

In den vergangenen zehn Jahren war die Integrationspolitik zwar davon geprägt, Integration als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ und „beiderseitigen Prozess“ zu definieren, die gesetzlichen Rahmenbedingungen wie auch die medial vermittelten Schwerpunkte legen jedoch den Zuwandernden die Hauptlast auf. Sie werden in vielen Bereichen exkludiert und gesellschaftlich zu wenig wahrgenommen. Auch das durch die Corona-Krise gesteigerte Interesse konnte das nur kurzzeitig ändern.

Ein Schluss aus der aktuellen Situation muss sein, Zuwanderung dauerhaft und in all ihren Facetten wahrzunehmen und Zuwandernde nicht als defizitär zu betrachten. Das gelingt nur, wenn nicht nur über, sondern auf Augenhöhe mit VertreterInnen der Communitys gesprochen wird. Die vielfältigen, heterogenen Stimmen von Menschen, die aus der „Mehrheitsgesellschaft“ ausgeschlossen scheinen, müssen gehört werden. Davon würden alle profitieren – egal, welchen Pass sie haben.

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Mag.a Doris Kampus

Landesrätin Steiermark, SPÖ

Es gibt Studien, die belegen, dass die COVID-19-Pandemie insbesondere ZuwanderInnen vor enorme Herausforderungen gestellt hat bzw. stellt, zum einen im Bereich Arbeit, aber auch im Bereich der Bildung. ZuwanderInnen hatten es bereits vor der Corona-Krise auf dem Arbeitsmarkt schwer. Die Situation hat sich aufgrund der aktuellen Corona-bedingten Wirtschaftslage deutlich verschärft. Wir haben in Österreich eine Rekordarbeitslosigkeit, der wir entschieden entgegentreten müssen. Mit der steirischen Corona-Stiftung haben wir neue Ausbildungsplätze für alle Steirerinnen und Steirer geschaffen und somit neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht.

Im Bereich der Bildung trifft es in erster Linie Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien mit schlechteren Deutschkenntnissen. Homeschooling ist für alle Familien eine große Herausforderung. Die Corona-Krise hat aber auch gezeigt, dass Bildungschancen in Österreich nach wie vor stark vom Einkommen der Eltern abhängig sind. So war es besonders für jene Schülerinnen und Schüler schwer, denen zu Hause keine Laptops oder Computer zur Verfügung standen.

Social Distancing hat für jene, deren Verwandte nicht in der Nähe wohnen, nochmals eine ganz andere Bedeutung. Vielen von ihnen ist es seit Monaten nicht möglich, ihre Familien zu besuchen. Zu den Sorgen um die eigene Lebenssituation und Gesundheit kommt hinzu, dass viele Familienmitglieder von ZuwanderInnen in Regionen leben, in denen die gesundheitliche Versorgung nicht so gut entwickelt ist wie in Österreich. Auch das sind Sorgen, die man nicht unterschätzen darf.

Welche konkreten Maßnahmen braucht es, um den Auswirkungen der Corona-Krise in diesem Bereich entgegenzuwirken?

Die Steiermark hat zu Beginn der Pandemie Informationen in zahlreiche Sprachen übersetzen lassen und den intensiven Kontakt mit MultiplikatorInnen gesucht, um alle notwendigen Informationen bestmöglich verbreiten zu können. Mit der Etablierung einer speziellen Corona-Sorgenhotline, die in diversen Sprachen zugänglich ist, wurde ein einzigartiges Format geschaffen, um ZuwanderInnen die Möglichkeit zu geben, all ihre Sorgen und Ängste zu deponieren und gegebenenfalls an weitere Stellen vermittelt zu werden.

In der Zeit nach der Pandemie müssen wir den Kern der Integrationsarbeit in den Vordergrund rücken, die Stärkung von Teilhabe für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ermöglichen und aktive Beteiligungsformate schaffen und weiterentwickeln.

Die Corona-Krise wirkt wie eine Lupe auf unsere Gesellschaft und zeigt uns die Problemstellungen unserer Zeit deutlich auf. Die Antwort kann daher nur sein: Chancengleichheit, Verteilungsgerechtigkeit und ein starker Sozialstaat bilden das Fundament für eine gerechte Zukunft.

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Kati Schneeberger

Präsidentin Vienna goes Europe, Bezirksrätin Wien Neubau, Kinder- & Jugendbeauftragte und Europa-Gemeinderätin, Die Grünen

Eine Pandemie hat immer auch Einfluss auf die Integration. Sie bietet Chancen, aber auch Risiken. Sie betrifft alle Menschen, wenn auch in unterschiedlichem Maße, und sie fordert von allen solidarisches Handeln. Jeder trägt eine Verantwortung und kann einen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten. Das fördert das Gemeinschaftsgefühl und die Herkunft und kulturelle Unterschiede treten in den Hintergrund.

Auf der anderen Seite sind persönliche Begegnungen außerhalb des eigenen Familien- und Kulturkreises aufgrund strenger Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wesentlich schwerer möglich. Es gibt kaum Gelegenheit zum Austausch und gegenseitigen Kennenlernen. Das macht Integration deutlich schwieriger. Dem Risiko, auch nach dem Ende der Pandemie im eigenen engen Kreis zu verharren, muss man entgegenwirken. Sobald Veranstaltungen und persönliche Treffen wieder möglich sind, sollte jede Gelegenheit genutzt werden, um Neues auszuprobieren und neue Bekanntschaften zu machen.

Aber auch während der Pandemie lassen sich Online-Formate finden, die interkulturelle Begegnungen ermöglichen. Sie ersetzen zwar nicht den persönlichen Kontakt, können dafür aber neue Begegnungen ermöglichen, die sonst aufgrund der großen räumlichen Distanz nur durch weite Reisen möglich wären.

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Ehe ohne Grenzen

Das Leben in der Pandemie trennt: Geschlossene Grenzen und Reisebeschränkungen begleiten uns seit deren Beginn. Nationalstaatliche Abgrenzung kann zu einer unüberwindbaren Hürde werden. Das war bereits vor COVID-19 so, hat sich dadurch aber verschärft. Vor allem für ÖsterreicherInnen und deren Ehe- bzw. LebenspartnerInnen und Kinder aus einem sogenannten Drittstaat verhindert sie oftmals ein gemeinsames Familienleben. Botschaften im Notbetrieb stellen keine oder nur spezielle Visa aus, Einreiseverordnungen ändern sich im Sekundentakt und machen Orientierung unmöglich. Das Recht auf Eheschließung erfährt starke Einschränkungen: verschobene oder ausgesetzte Trauungstermine, die Unmöglichkeit, diese wahrzunehmen, weil das Reisen für Drittstaatsangehörige teilweise unterbunden wurde, schwer oder gar nicht beschaffbare Dokumente und überlange Wartezeiten bei den Niederlassungsbehörden.

All das hat zu langen Trennungen und massiver Unsicherheit geführt. Damit binationale Familien gemeinsam in Österreich leben dürfen, müssen sie u.a. ein monatliches Einkommen von 1578 Euro netto (plus Miete und 154 Euro pro Kind) und eine A1-Deutschprüfung vorweisen. Dem gegenüber stehen der Verlust von Arbeitsplätzen und geschlossene Sprachinstitute. Die Initiative Ehe ohne Grenzen (EOG) berät seit 14 Jahren ehrenamtlich Paare und Familien in fremdenrechtlichen Fragen. Derzeit sind wir besonders gefragt, denn in Krisenzeiten benötigen Menschen den Rückhalt der Familie, ihrer Kinder und des/der PartnerIn. Alle Teile einer Gesellschaft brauchen Sicherheit und Rechte, damit sie sich ihr auch zugehörig fühlen. Das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 EMRK und der Schutz des Kindeswohls sind ein Grundpfeiler für den Zusammenhalt. Internationale Bewegungen wie #LoveIsNotTourism stellen eine der Möglichkeiten dar, Kräfte zu bündeln und Rechte durchzusetzen sowie die Familie als kleinste Einheit der Gesellschaft zu verbinden.

Verein ZARA

Mag.a Dilber Dikme

Leiterin der Beratungsstellen ZARA – Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit

Wir befinden uns mitten in einer globalen Gesundheitskrise, die unter anderem dazu führt, dass verschiedene Formen von Ungleichheit verstärkt werden – insbesondere jene, die auf Rassismen beruhen. Mit rassistischen Aussagen werden Ängste in der Bevölkerung geschürt und Feindbilder geschaffen, obwohl gerade in so kritischen Zeiten der Zusammenhalt der Gesamtbevölkerung entscheidend ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt lauter denn je gegen Rassismus und Diskriminierung aufbegehren und uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Für Solidarität und Zivilcourage darf es keinen Ausnahmezustand geben. Vielmehr muss genau jetzt der angekündigte Nationale Aktionsplan gegen Rassismus, der das Fundament jeglicher Integrationspolitik sein sollte, endlich ausgearbeitet werden – und zwar unter Einbeziehung von ExpertInnen.

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Sabine Bauer-Amin, Ph.D.

wissenschaftliche Mitarbeiterin  Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW)

Unabhängig von Migrationsbiografien haben die Krise und die Maßnahmen zu deren Bewältigung bestimmte Gruppen unverhältnismäßig stärker getroffen als andere. Dabei geht es vor allem um Personen, die über kein starkes Netzwerk verfügen, in beengten Wohnsituationen leben, kein ausreichendes Strukturwissen haben, um Hilfen zu beantragen, weder technische noch sprachliche Möglichkeiten haben, um ihre Kinder im Homeschooling zu unterstützen, oder im Niedriglohnbereich arbeiten/gearbeitet haben. Weitere belastende Faktoren sind zudem eine mangelnde Gewissheit über den eigenen Aufenthaltsstatus, wenige gefestigte Beziehungen, die einem im Krankheits- oder Quarantänefall unterstützen, das Angewiesensein auf NGOs oder ÜbersetzerInnen sowie die Sorge um Familienangehörige in weitaus gravierender betroffenen Gebieten. Insbesondere migrierte Familien sind oft von verschiedenen dieser Faktoren betroffen.

Familien, die schon vor der Krise mit diesen Faktoren gelebt haben, sind nun unverhältnismäßig stärker betroffen. Es gilt daher zu verhindern, dass die Schere innerhalb der Bevölkerung weiter aufgeht, und die negativen Folgen für benachteiligte Gruppen gezielt abzufangen. Hierbei ist auf das enorme Engagement verschiedener migrantischer und postmigrantischer Organisationen und Communitys hinzuweisen, die in kürzester Zeit reagiert und sofort Unterstützungsangebote bereitgestellt haben. Dieses Engagement muss zum einen wertgeschätzt, zum anderen positiv verstärkt werden. Geflüchtete sowie deren Vereine, Organisationen und NGOs sollten in künftige Entscheidungsprozesse zu COVID-19-bezogenen Maßnahmen sowie in das Monitoring der Auswirkungen möglichst einbezogen werden. Eine breite Palette an Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit ist als negative Folgewirkung der Pandemie hervorzuheben. Um hohen Folgekosten (z.B. auch für andere Integrationsbereiche) entgegenzusteuern, ist eine breite Offensive an Unterstützung (Homeschooling), sozialer und psychologischer Betreuung sowie Therapieangeboten (DolmetscherInnen) zu empfehlen.

Maciej Palucki . Wien . 25.07.2020 . Photo by Michèle Yves Pauty

Mag. Maciej Tadeusz Palucki

Integrationswerkstatt, SDG 5-Projektkoordinator an der Abteilung für Genderkompetenz der TU Wien

Die Corona-Pandemie wirkt wie ein Brennglas: Sie hat die soziale Ungleichheit in Österreich verstärkt und Rassismen sichtbarer gemacht. „Wir können nur gemeinsam die Krise überwinden“, so lautet eine der Phrasen, die wir in den vergangenen Monaten des Öfteren gehört oder gelesen haben. Doch die Wirklichkeit war und ist eine andere: Das „Wir“ in der Gesellschaft wird schmerzlich vermisst. Stattdessen erleben wir ein „Othering“. Darunter werden Prozesse verstanden, um Menschengruppen als „andersartig“ und inferior darzustellen. Wir haben das erlebt, als es im August 2020 von der Politik hieß, dass „das Virus mit dem Auto nach Österreich kommt“. Im Dezember 2020 wurde von der Politik neuerlich behauptet, ein Drittel der Neuinfektionen sei aus den Westbalkan-Ländern „eingeschleppt“ worden. Allerdings gibt es in diesem Zusammenhang gar keine Zahlen zu Migration oder Nationalität.

Ein Ansatz dazu, wie wir zu einem stärkeren „Wir“ anstelle eines „Wir vs. die Anderen“ kommen können, sind Sprache und Bilder. In der (Bild-)Sprache manifestieren sich Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Sprache hat einen Einfluss auf unsere Konstruktion von Wirklichkeit und unser Denken. Mit einer wertschätzenden, achtsamen und inklusiven Sprache kann es uns gelingen, zu einem stärkeren „Wir“ zu kommen. Das kann etwa damit beginnen, dass wichtige Pressekonferenzen zum Thema COVID-19 nicht nur auf Deutsch abgehalten werden, sondern auch ins Türkische, BKS et cetera übersetzt werden. Die Annahme, dass Individuen und Staat „normalerweise“ einsprachig seien, der sogenannte monolinguale Habitus, entspricht nicht der Lebensrealität in unserem Land. Eine multilinguale Öffentlichkeitskampagne der Regierung könnte, ganz im Sinne des „Leave no one behind“-Grundsatzes, mehr Menschen in unserem Land erreichen. Wenn wir wirklich „gemeinsam“ durch die Krise kommen wollen, dann mit Wertschätzung statt Abwertung, mit Inklusion statt Exklusion und indem wir aufeinander zugehen statt uns gegenseitig „andersartig“ zu machen.

Copyright: Jolly Schwarz - https://www.facebook.com/JollySchwarzPhotography

Ayten Pacariz

Operative Leitung Verein NACHBARINNEN in Wien

Menschen, die geflüchtet oder zugewandert sind, brauchen eine 1:1-Begleitung. Die Corona-Krise hat vieles zum Stillstand gebracht: Deutschkurse wurden und werden noch online abgehalten, Konversationsgruppen haben sich aufgelöst und viele nützliche Begegnungsorte konnten nicht mehr erhalten werden. Eine Maßnahme könnte sein, das alles wieder möglich zu machen, wenn auch unter besonderen Auflagen und adäquaten Gesundheitsmaßnahmen. Menschen, die sich integrieren möchten und müssen, dürfen nicht ihrem Schicksal überlassen werden. Dazu braucht es Aktivierung und verfügbare Räume, um sich wohlzufühlen und mitzumachen.

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Sarah Pallauf, MA

Projektmitarbeiterin Verein lobby.16

Wer trägt Geflüchtete durch die Pandemie?

2020: Was haben wir erlebt? Wir haben Jugendliche aus unserem Lehrstellenprojekt „Bildungswege“ durch den ersten Lockdown begleitet, waren BeraterInnen via Telefon, Video und bei Spaziergängen im Freien. Wir haben die jungen Menschen motiviert, wenn sie wegen der schwierigen Lehrstellensuche zermürbt waren, Info-Grafiken zu den Maßnahmen gepostet, Lösungen gesucht, wenn es zu Hause für den Online-Unterricht zu laut und das Internet zu schwach war. „Nur niemanden verlieren!“, das war in sämtlichen Team-Sitzungen unser Mantra.

Die Pandemie ist für junge Menschen, ob mit oder ohne Fluchterfahrung, nicht einfach nur „ein Jahr ohne Partys“. Sie ist zermürbend, nimmt Zukunftsaussichten, stellt Menschen mit geringer digitaler Kompetenz vor die Aufgabe, sich stundenlang online weiterzubilden, und sie behindert auch Integration. An der Gesellschaft teilzuhaben, ist schwierig, wenn man dafür einen Laptop braucht. Eine Ausbildung zu beginnen, ist schwierig, wenn Firmen plötzlich alle Lehrstellen streichen.

COVID-19 trifft alle, aber nicht alle mit derselben Wucht. Die Herausforderungen, die unsere Jugendlichen ohnehin schon zu bewältigen hatten, scheinen sich von einem Tag auf den anderen verdoppelt zu haben. Beengte Wohnverhältnisse, instabile psychische Gesundheit und unzureichendes digitales Equipment haben eine Teilhabe an der Ausbildung und am gesellschaftlichen Leben plötzlich nahezu unmöglich gemacht.

2021: Was brauchen wir? Bildungsprojekte wie unseres, die Menschen mit Fluchterfahrung abholen und niemanden verlieren. Die dranbleiben, die nachfragen, die ein sicherer Anker sind, wenn rundherum alles schwankt. Ausbildungsstätten, die nicht davon ausgehen, dass alle Lernenden einen eigenen Laptop haben, geschweige denn diesen auch benutzen können. Lehrende, die Verständnis dafür haben, dass nicht alle TeilnehmerInnen dieselbe Motivation wie vor der Pandemie aufbringen können. Und eine Politik, die genau diese AkteurInnen aus der Integrationsarbeit in ihrem tagtäglichen Tun unterstützt – nicht nur applaudierend, sondern tatsächlich auch proaktiv, empathisch und finanziell.

Denn Empathie füreinander und echte Teilhabe am Leben in Österreich bleiben die Grundsteine für gelungene Integration – mit oder ohne Pandemie.

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Emer. o. Univ.-Prof. Dr. Hans-Jürgen Krumm

Netzwerk SprachenRechte

Dass die Corona-Pandemie sich auf Migrantinnen und Migranten stärker negativ auswirkt, liegt auf der Hand: Ihre Vertrautheit mit dem österreichischen Sozial- und Gesundheitssystem ist teilweise geringer, die Reduktion sozialer Kontakte trifft sie deshalb teilweise stärker. Auch ihre familiären Bindungen (etwa ins Herkunftsland) sind schwer aufrechtzuerhalten. Was ihre Rechte und Möglichkeiten während des Lockdowns betrifft, wurden sie teilweise falsch informiert, sodass sie sich zum Teil gar nicht vor die Tür gewagt haben, was sicher negativ für die physische und psychische Gesundheit war.

Für Kinder hat die Politik der Bundesregierung allerdings bereits VOR der Corona-Pandemie die falschen Weichen gestellt, was sich jetzt besonders gravierend auswirkt: Die Segregation durch die Deutschförderklassen hat dazu geführt, dass Kinder weniger Kontakte zu gleichaltrigen SchülerInnen mit besseren Deutschkompetenzen aufbauen konnten, die ihnen jetzt im Homeschooling als Hilfen und Nahkontakte fehlen.

Nicht die Defizite in der deutschen Sprache werden sichtbarer, vielmehr werden Kinder mit Migrationshintergrund noch unsichtbarer, weil unser Bildungswesen sie mit ihrer Mehrsprachigkeit nie sichtbar gemacht, sondern immer nur auf die Defizite in der deutschen Sprache reduziert hat. In einer mehrsprachigen Schule und Gesellschaft wären diese Kinder schon vor Corona und jetzt erst recht besser aufgehoben.

Was es braucht: ein Ende der Diskriminierung und Segregation, stattdessen integrative Angebote, die auch jetzt helfen könnten, Kinder mit mangelnder Ausstattung oder mangelnder Erfahrung mit dem digitalen Lernen zu erreichen, z.B. durch ein Mentoring-System und die Bildung kleiner Lerngruppen mit mehrsprachigen TutorInnen und Lehrkräften. Die derzeitigen Schulschließungen sind in dieser Hinsicht besonders schädlich. Aber es sollte zumindest eine digitale Deutschförderung bzw. zweisprachige Angebote in den unter Österreichs Schulkindern besonders stark vertretenen Familiensprachen geben, inklusive der Entwicklung von zweisprachigen Lernunterlagen.

Migrantinnen und Migranten arbeiten vielfach in „systemrelevanten“ Bereichen. Diese auch finanziell anzuerkennen und Diskriminierungen zu beseitigen (z.B. die Kürzung der Familienbeihilfe je nach Wohnort der Kinder, die Bindung von Gemeindewohnungen an Deutschprüfungen), würde Migrantinnen und Migranten jene Sicherheit geben, die Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration ist.

Dr.in Judith Kohlenberger

Dr.in Judith Kohlenberger

Institut für Sozialpolitik, Wirtschaftsuniversität Wien

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Österreich noch immer nicht im Selbstverständnis einer modernen Migrationsgesellschaft angekommen ist. Viel zu spät und lückenhaft wurden im März 2020 die Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen in die wichtigsten MigrantInnensprachen des Landes übersetzt. Eine zielgruppengerechte Kommunikation der Maßnahmen mittels MultiplikatorInnen in den Communitys findet nur zögerlich statt. Der Zugang zur Gesundheitshotline 1450 oder zu Teststraßen müsste niederschwelliger gestaltet werden.

Denn Daten aus Ländern wie Frankreich oder Kanada (für Österreich fehlen diese leider) zeigen, dass gerade Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund stärker von der Pandemie und ihren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen betroffen sind. Unter dem Gebot des „Social Distancing“ leidet die soziale Integration neu angekommener Menschen, vor allem jene der großen Fluchtbewegung 2015, die erst langsam begonnen hatte, Kontakte zur Aufnahmegesellschaft aufzubauen.

Auch die ökonomische Integration ist stark beeinträchtigt: So lässt sich bei ausländischen StaatsbürgerInnen ein doppelt so hoher Rückgang der Erwerbsquote verzeichnen wie bei österreichischen. Unter im Ausland geborenen Arbeitskräften ist der Rückgang sogar fast dreimal so hoch. Nicht zuletzt befördert eine schlechte konjunkturelle Lage leider auch immer die Diskriminierung am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Debatten über BalkanheimkehrerInnen und über das Virus, das „aus dem Ausland“ komme, haben zuletzt offensichtlich gemacht, wie die Corona-Krise auch strategisch genutzt wird, um in den hierzulande defizitorientierten Migrations- und Integrationsdiskurs einzuzahlen.

Um dem entgegenzuhalten, gilt es, den Beitrag von MigrantInnen zur Bewältigung der Pandemie stärker sichtbar zu machen. In den systemerhaltenden Berufen, ob als ÄrztInnen oder als Pflegekräfte, an der Supermarktkassa oder bei Lieferdiensten, sind Menschen mit Migrationshintergrund überrepräsentiert und tragen somit nicht erst seit Corona zum Erhalt der Infrastruktur in Österreich bei.