Gesundheit
Welche Art von Diskriminierung erfahren Migrant:innen in der Gesundheitsversorgung? Was sind die Folgen der ungleichen medizinischen Behandlung? Wie kann die Gleichberechtigung in der Gesundheitsversorgung verbessert werden? Welche Barrieren erschweren den Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung für Migrant:innen und wie lassen sich diese überwinden?
Dr. Arno Melitpulos-Daum
Österreichische Gesundheitskasse, Bereichsleiter für den Fachbereich Versorgungsmanagement 3
Gesundheit darf keine Frage der Herkunft sein.
Das gilt für die 7,4 Mio Versicherten der ÖGK in Österreich. Das priorisierte Ziel 2 der RahmenGesundheitsziele sieht vor, für „gesundheitliche Chancengerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und sozioökonomischen Gruppen, unabhängig von Herkunft und Alter“ zu sorgen. Bereits seit vielen Jahren wird im Rahmen der Art. 15a B-VG gemeinsam mit allen Systempartnern an der Förderung der Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund gearbeitet.
Die erste relevante Frage ist, ob die Menschen überhaupt einen Anspruch auf Leistungen aus der Krankenversicherung haben. So werden beispielsweise geflüchtete aus der Ukraine, die Schutz in Österreich suchen, per Verordnung in die Krankenversicherung einbezogen und haben damit einen Anspruch auf Ärztliche Hilfe, Heilmittel oder Heilbehelfe als Sachleistungsversorgung. Die ÖGK hat hier sehr schnell reagiert und mit Beginn der Ukrainekrise umfassende niederschwellige Möglichkeiten geschaffen. Insgesamt lässt sich erfreulicherweise sagen, dass mit 99,9 Prozent der Menschen in Österreich die ganze Bevölkerung krankenversichert ist.
Die große Herausforderung ist die Chancengleiche Versorgung der verschiedenen teilweise vulnerablen Gruppen. Insbesondere chronische Krankheiten, aber auch Angstzustände und Depressionen können nicht immer ausreichend versorgt werden. Hier geht es neben den Sprachbarrieren und kulturelle Barrieren vorallem um einen leichten Zugang zu den Angeboten und fehlendes Wissen über die doch sehr komplexen Strukturen im Gesundheitssystem. Hier muss das Gesundheitssystem noch viel tun.
Die ÖGK hat verschiedene Maßnahmen gesetzt wie eine zielgruppenaffine Ansprache in den Vorsorgeprogrammen wie beispielsweise mehrsprachige Informationsmaterialien, maßgeschneiderte Informationsveranstaltungen oder auch eine Ansprache von Frauen mit Migrationshintergrund in ihrem vertrauten Umfeld. Ein sehr vielversprechendes Pilotprojekt in Kooperation mit der Ärztekammer Oberösterreich bietet ein strukturiertes Video- und Audiodolmetschsystem an. Damit können sprachliche und kulturelle Barrieren in der niedergelassenen Versorgung verbessert werden und die Beziehung zwischen Ärzt/innen, Therapeut/innen und Patient/innen gefördert. Die ÖGK entwickelt laufend Maßnahmen um die relevanten Herausforderungen aufzugreifen und zielgruppenaffine Lösungen zu finden. Ziel der ÖGK ist eine möglichst chancengleiche Versorgung ohne jemanden auszuschließen
BEd Fiona Fiedler
NEOS-Sprecherin für Menschen mit Behinderungen, Gesundheit und Pflege, abgeordnete zum Nationalrat
Die erste Hürde für MigrantInnen im österreichischen Gesundheitssystem ist oft nicht einmal ein Sprachmangel, sondern schlichtes Unwissen. Viele Menschen mit Migrationshintergrund gehen automatisch in Krankenhäuser, weil sie gar nicht wissen, wo und wie niedergelassene Ärzte zu finden sind. Gerade im Krankenhaus gibt es aber oft noch weniger verfügbare Zeit oder Kompetenz, um sich mit potenziellen Sprachhürden auseinanderzusetzen und tatsächlich herauszufinden, was die Ursache für den Besuch ist. Stattdessen wird oft nur notdürftig versucht, halbwegs kommunizierte Symptome auf eine potenzielle Ursache einzugrenzen und zumindest für diese Behandlungsempfehlungen mitzugeben.
Auch wer ohne Probleme Deutsch spricht, hat aber meistens weniger Überschneidungen mit dem System und weniger Informationen darüber. Speziell Facharztverteilungen sind schwierig zu kommunizieren und auch das Wissen über Vorsorgeuntersuchungen oder Krebsscreenings fehlt oft. Meist auch, weil die Gesundheitskompetenz fehlt und es kaum Programme gibt, die diese Informationen spezifisch in migrantische Communities bringt. Dabei hätten diese Programme Erfolg, wie eine türkischsprachige Kampagne für Brustkrebsscreenings gezeigt hat.
Ein weiteres Problem ist, dass mangels ordentlicher Betreuung und Kommunikation chronische Krankheiten nur selten gut gemanaged werden. Spätestens im höheren Alter wirken sich niedrigerer Bildungsgrad und schlechtere Sprach- und Gesundheitskenntnisse in einer schlechteren Patientencompliance (beispielsweise bei Tabletteneinnahmen) oder in Folge bei mehr Interkationen zwischen Präparaten.
Der Mangel an strukturierten Programmen ist zwar auch für alle anderen Bevölkerungsgruppen ein Problem, bei MigrantInnen sehen wir aber an den wenigen verfügbaren Daten noch weniger Wissen über die Funktionsweisen des Gesundheitssystems, Bewusstsein, wo welche Behandlung verfügbar ist und in Folge dessen schlechtere Gesundheitsdaten und wohl in weiterer Folge eine frühere Mortalität.
Hannah Wahl, MA.
Freie Journalistin, Texterin und Historikerin; Themenschwerpunkte Inklusion & Menschenrechte
Nach wie vor existieren zahlreiche Barrieren im Bereich des Gesundheitswesens, die Menschen mit Migrationserfahrung daran hindern, diese wichtigen Leistungen gleichberechtigt in Anspruch zu nehmen. Aufgrund dieser Barrieren haben sie ein erhöhtes Gesundheitsrisiko – ein Thema das dringend mehr Beachtung, und vor allem Veränderung, benötigt. Solche Barrieren sind zum Beispiel Informationen in zu komplizierter Sprache und andere sprachliche Barrieren oder Misstrauen, auch oft aufgrund schlechter Erfahrungen mit den Einrichtungen des Gesundheitswesens und ihrem Personal. Dazu kommen ökonomische und administrative Barrieren. Menschen mit Migrationserfahrung und wenig Einkommen verzichten häufiger auf die Inanspruchnahme, denn oft sind Selbstbehalte zu bezahlen oder weitere Unterstützungen für Heilbehelfe etc. zusätzlich zu beantragen.
Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann
Geschäftsführer Gesundheit Österreich GmbH
Durch sozialen Zusammenhalt die Gesundheit stärken.
Zuwanderung ist in Österreich ein wesentlicher Faktor der Bevölkerungsentwicklung. Angesichts ökonomischer Ungleichheiten, geopolitischer Auseinandersetzungen und nicht zuletzt durch die Folgen des Klimawandels können auch in den kommenden Jahren von Fluchtbewegungen und Migration erwartet werden. Umso wichtiger sind geeignete Maßnahmen der Integration, das gilt auch und vor allem für den Gesundheitsbereich.
Sämtliche Studien bescheinigen hierbei ein Ungleichgewicht: Menschen mit Migrationshintergrund fühlen sich tendenziell gesundheitlich schlechter, klagen häufiger über Schmerzen und geben an, mehr psychische Probleme zu haben als Menschen ohne Migrationshintergrund.
Die Gründe dafür sind bekannt: Gesundheitsdeterminanten wie Alter, Bildung, sozialer Status, Arbeitssituation und Einkommen stellen wesentliche Barrieren nicht nur, aber in einem besonderen Ausmaß für MigrantInnen dar. Mangelnde Sprachkompetenz und kulturelle Unterschiede zeigen sich in fehlender Information, unzureichender Gesundheitskompetenz und regulatorischen Herausforderungen im Gesundheitssystem. Zu dieser Orientierungslosigkeit kommen noch Barrieren durch das System selbst, etwa ein wenig überschaubares Versorgungssystem oder unterschiedliche interkulturelle Kompetenz bei den Leistungsanbietern selbst.
Die Folgen sind Defizite in der gesundheitlichen Versorgung, aber auch in den Bereichen Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation, welche sich mit zunehmendem Alter der MigrantInnen auch in den Bereich der Pflege verlagern.
Neben der Eigenverantwortung der MigrantInnen hat auch die Gesellschaft eine Verpflichtung zur Solidarität, um das Funktionieren des Gesundheitssystems zu gewährleisten und im Sinne des Zusammenhalts der Gesellschaft zu stärken. Es braucht daher ein aktives Aufsuchen aller Anspruchsgruppen insbesondere im Bereich der Prävention und der Gesundheitsförderung, ausreichend Angebote für Aufklärung und Information, Kommunikation bzw. Zusammenarbeit mit den Communities und Instrumente des Monitorings, um die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund besser zu verstehen und zielgerichteter handeln zu können.
In diesem Feld ist die Gesundheit Österreich seit langem federführend engagiert. Ganz aktuell mit dem gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium gesetzten Schwerpunkt auf Gesundheitsförderung und der seit Anfang des Jahres etablierten „Agenda Gesundheitsförderung“ wollen wir zur Lösung vieler dieser Herausforderungen beitragen.
Dipl.-Soz. Arb. Johannes Rauch
Österreichischer Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
Ein wesentliches Merkmal des österreichischen Gesundheitssystems ist der gleiche und einfache Zugang zu allen Gesundheitsleistungen für alle, unabhängig von Alter, Wohnort, Herkunft und sozialem Status sowie unabhängig von Art bzw. vom Umfang der Leistung. Der freie Zugang von Asylwerber:innen, Asylberechtigten und Subsidiär Schutzberechtigten, die sich in der Grundversorgung befinden, ist meines Erachtens ein wichtiger Aspekt des österreichischen Gesundheitssystems und auch internationale Analysen bestätigt das. So gaben beispielsweise neun von zehn Geflüchteten in Österreich an, dass sie ihre Gesundheit als gut oder sehr gut bewerten.
Eine systematische Diskriminierung von Migrant:innen in der Gesundheitsversorgung besteht aus meiner Sicht insbesondere aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen daher nicht. Unterschiede bzw. Einschränkungen und der Versorgung können sich jedoch aus verschiedenen Barrieren ergeben.
Oft unterscheiden sich die Gesundheitssysteme der Herkunftsländer zugewanderter Menschen vom österreichischen Gesundheitssystem und es kann dann schwierig sein, die richtigen Anlaufstellen, um Gesundheitssystem zu finden. Eine weitere Herausforderung oder Barriere stellen oftmals Verständigungen dar. Zum Abbau dieser Barriere wurden mehrere Maßnahmen umgesetzt. SO wurden mehrsprachige Informationsmaterialien und Erklärvideos zu diversen Versorgungsthemen (z.B. Gesundheitssystem – Wo bekomme ich Hilfe? Psychische Gesundheit – Wo bekomme ich Hilfe?, Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – Wo bekomme ich Hilfe?, Informationen für werdende Eltern und Familien bis zu drei Jahren) bereitgestellt bzw. befinden sich in der Finalisierung.
Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren weitere Projekte, die spezifischen Themen im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung von Migrantinnen und Migranten bearbeitet, z.B. Migration und psychische Gesundheit sowie Verständnis von Gesundheit und Krankheiten von Frauen mit Migrationshintergrund oder suchtspezifischen Problemlagen von männlichen unbegleiteten jugendlichen Geflüchteten in Wien. Weiters wurde dem Thema Migration ein eigenes Kapitel im Projektbericht zu den sozialen Faktoren der COVID-19-Pandemiie gewidmet.
Seit 2015 koordiniert die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) die Expert:innengruppe zu psychosozialer Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund. In den ersten Jahren lag hierbei der Fokus auf Menschen mit Fluchthintergrund. Mit einem Teil dieser Expert:innengruppe wurde 2022 ein „Rahmenkonzept zur Implementierung niederschwelliger psychosozialer Angebote für Menschen m it Fluchterfahrung“ erarbeitet. Mit ist dieses Thema ein besonderes Anliegen und ich wird mich weiterhin für eine laufende Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von Migrantinnen und Migranten einsetzen.
Dr. Josef Smolle
österreichischer Dermatologe, Venerologe und Politiker (Abgeordneter im Nationalrat ÖVP)
Das österreichische Gesundheitssystem hat das Ziel, allen Menschen in unserem Land den gleichen, solidarischen Zugang zu allen notwendigen medizinischen Behandlungen zu bieten. Bei der Betreuung von Personen mit Migrationshintergrund ist die Herausforderung dabei eine besondere – sowohl für die betroffenen Patientinnen und Patienten als auch für die Menschen, die in unseren Gesundheitseinrichtungen arbeiten.
Hinsichtlich der Sprachbarriere sind die verschiedenen Institutionen bemüht, Übersetzungsleistungen zur Verfügung zu stellen. Außerdem wird in den Aus- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe Wert auf Diversitätsverständnis gelegt, weil oft zusätzlich kulturelle Unterschiede in der Kommunikation zu beachten sind.
Für Migrantinnen und Migranten ist es zudem wohl noch schwieriger als für Einheimische, sich in der Vielfalt des österreichischen Gesundheitssystems zurecht zu finden. Das kann dazu führen, dass Spitalsambulanzen als unmittelbare und erste Anlaufstelle genutzt werden, und allgemeinmedizinische Praxen gar nicht erst aufgesucht werden. Deshalb ist es hilfreich, wenn im Zuge von Integrationsmaßnahmen auch grundlegende Informationen über die gesundheitlichen Versorgungsmöglichkeiten in Österreich kommuniziert werden. Dies muss niederschwellig und zumindest anfangs auch herkunftssprachlich erfolgen.
Gerade im Tourismus sind Mehrsprachigkeit und Diversität gefragt. Internationale Gäste schätzen es, wenn ihre Muttersprache auch im Urlaub verstanden wird. Bereits jetzt sind viele Menschen aus verschiedensten Ländern und Kulturen in den heimischen Tourismusunternehmen beschäftigt. Angesichts des steigenden Fachkräftemangels freuen sich Hotels, Restaurants, Lokale und viele mehr über zusätzliches qualifiziertes Personal.
Dies dient jedoch keineswegs nur den Unternehmen, sondern ermöglicht Migrantinnen und Migranten ein besseres Fußfassen in ihrer neuen Heimat. Frei nach dem Motto „Voneinander lernen“ können gleichzeitig auch einheimische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Diversität profitieren und ihren Horizont erweitern. Am Ende wird durch die Beschäftigung eine Win-win-Situation erreicht, von der sowohl Arbeitssuchende als auch Unternehmen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitieren.
Dr. Judith Kohlenberger
Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin
Gesundheit ist eine zentrale Ressource im Leben jedes Menschen und eine Grundvoraussetzung, um selbstbestimmt am Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, am Wirtschafts-und Kulturleben eines Landes teilzunehmen. Sie bildet somit das Fundament für gelungene Integration in allen Dimensionen. Abhängig von ihren Beweggründen und Erfahrungen vor, während und nach der Migration können Menschen mit Migrations- und Fluchtbiographie aber unterschiedlichen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt sein, die sie daran hindern, ihr volles Potential zu verwirklichen. Migrationsbedingte Stressfaktoren wie Sprachschwierigkeiten, Verlust des sozialen Netzwerks und damit einhergehende Isolation, Identitätsprobleme, Statusverlust, Akkulturationsstress sowie Diskriminierung und Rassismus können sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Zusätzlich geht „Migrationshintergrund“ in Österreich häufig mit sozialer bzw. sozioökonomischer Benachteiligung einher und kann damit zu einer Kumulation an Problemlagen beitragen. Deshalb ist die Anzahl der Migrant/inn/en und geflüchteten Menschen, die nach ihrer Ankunft in Österreich medizinische Beratung oder Behandlung benötigen, nicht gering.
Jedoch steht dieser Bedarf aus Gründen fehlender Verfügbarkeit, nicht ausgebauter Kompetenzen im Gesundheitswesen oder Wissenslücken und Sprachbarrieren in einem eklatanten Gegensatz zum Angebot. Präventiv die Gesundheit von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund zu fördern bedeutet daher auch, ganzheitliche Maßnahmen zur Förderung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe zu setzen.
Karin Praniess-Kastner, MSc
Trainerin & Coach für Kommunikation und Persönlichkeit
Die Schwierigkeiten, die Migrantinnen und Migranten begegnen, wenn sie Zugang zum Gesundheitssystem benötigen, lassen sich vor allen Dingen auf zwei Ursachen zurückführen: das ist zum einen eine sprachliche Barriere mit all ihren Implikationen, und zum anderen eine Diskriminierung, die mit dem System an sich zusammenhängt. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass Migrantinnen und Migranten die Funktionsweise unseres Gesundheitssystems nicht a priori kennen, da sie möglicherweise ein anderes System (oder nur ein sehr rudimentäres) gewöhnt sind. Prozesse und Abläufe, die für einheimische möglicherweise völlig selbstverständlich sind, wie Terminvereinbarungen, das Hausarzt- und Überweisungssystem usw., können für MigrantInnen völlig neuartig sein. Dies führt zu Missverständnissen, Verzögerungen, und im schlimmsten Fall, wenn Beschämung und Angst dazukommen, auch zu Versäumnissen. Werden dann Krankheiten deswegen zu spät erkannt, kann es für das Gesundheitssystem teuer werden.
Dabei gäbe es einige Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, um Migrantinnen und Migranten den Zugang zum Gesundheitssystem zu erleichtern – von mehrsprachigen Informationen auf den Webseiten der großen Sozialversicherungsträger bis hin zur Gestaltung von Drucksorten und anderem Informationsmaterial (in einfacher Sprache bzw. mehrsprachig) bis hin zu Informationsabenden und Workshops gibt es hier mannigfaltige Möglichkeiten, das österreichische Gesundheitssystem in einer verständlichen Form visuell-inhaltlich aufzubereiten und so einem größeren Publikum zu näher zu bringen. Bereits existierende Angebote wie die FEM und MEN Gesundheitszentren nehmen eine Vorreiterrolle ein und zeigen, wie es geht. Glücklicherweise finden sich vereinzelt auch mehrsprachige Angebote und positiv-Beispiele in der österreichischen Gesundheitslandschaft, die einen wichtigen Beitrag leisten, doch nun ist es an den politischen Entscheidungsträgern, die Mittel für diese Initiativen zu erhöhen.
MMag. Maria M. Hofmarcher-Holzhacker
Director und Gründerin HS&I Health System Intelligence e.U., Stellvertretende Vorständin der aha. Austrian Health Academy.
Um den Gesundheitszustand, den Zugang zur medizinischen Versorgung und die soziale Lage von Migrant/innen vergleichend zu untersuchen, wurde die Studie “Migration in Österreich, gesundheitliche und ökonomische Aspekte” sowohl für die gesamte Bevölkerung als auch für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nach Herkunftslandgruppen durchgeführt. Die Studien ergaben, dass der Gesundheitsausgabenanteil von Migrant/innen kleiner als ihr Bevölkerungsanteil ist. Die Gesundheit und die Versorgung von Migrant/innen liegt im Gesellschaftlichen. Gesundheit ist Voraussetzung und Ergebnis erfolgreicher Integrationsprozesse und wird in der Literatur als zentraler Baustein dafür erachtet.
Während Migrant/innen in Österreich einen, im EU-15 Vergleich vorzeigbaren, gesetzlich gesicherten, niederschwelligen Zugang zu Versorgung haben, erschwert ihre soziale Lage diesen Zugang. So zeigt die statistische Analyse, dass das vergleichsweise niedrige Bildungs- und Einkommensniveau von Migrant/innen, die nicht aus den EU-15-Ländern kommen, den selbstberichteten Gesundheitszustand signifikant verschlechtert. Dieser Einfluss besteht schon länger und gleichzeitig mit der signifikanten Bedeutung des Alters und des Gesundheitsverhaltens. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass fehlende Sprach- und Gesundheitskompetenz, sowie Diskriminierung zusätzlich belasten. Die Ergebnisse zeigen, dass Gesundheit förderliche gesellschaftliche Bedingungen braucht, um nachhaltig zu entstehen und gefestigt zu werden.
Über die folgenden Links können Sie mehr über die Ergebnisse und Einsichten der Studie erfahren: https://www.austrianhealthacademy.at/migration-und-gesundheit-in-oesterreich-gesundheitliche-und-oekonomische-aspekte/ http://www.healthsystemintelligence.eu/docs/Migration_HSI_aha_final_WEBSITES.pdf
DI Marion Weigl
Gesundheit Österreich GmbH, Abteilung Gesundheit, Gesellschaft und Chancengerechtigkeit
Gesundheit wird wesentlich von sozialen Faktoren wie Arbeit, Einkommen, gesellschaftliche Teilhabe und das soziale Netz bestimmt. Menschen mit Migrationshintergrund sind eine sehr heterogene Gruppe und nicht notgedrungen sozial benachteiligt. Aber die Daten für Österreich zeigen, dass sie häufig wenig formale Bildung mitbringen, sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden und ein geringes Einkommen haben. Ein unsicherer Aufenthaltsstatus und ein fehlendes soziales Netz stellen zusätzliche Belastungen dar. Geringe bzw. fehlende Deutschkenntnisse und ein unterschiedliches Verständnis von Gesundheit und Krankheit erschweren die Verständigung mit dem Gesundheitspersonal aber auch das Verstehen von Gesundheitsinformationen und Befunden. Unterschiede zwischen den Gesundheitssystemen, insbesondere der verfügbaren Vorsorge- und Präventionsangebote, erschweren die Orientierung im Gesundheitssystem. Weitere Hürden für die Inanspruchnahme passender Leistungen und Angebote sind Unsicherheiten bezüglich der Anspruchsberechtigung und der Kosten sowie Diskriminierungserfahrungen. Für nicht-versicherte Menschen stehen nur einige wenige Einrichtungen offen.
Die Pandemie hat gezeigt, dass mehrfache Benachteiligung kumulativ wirkt. Die Folgen von sozialer Benachteiligung sind z.B. höhere Raten von Adipositas bei Menschen mit Migrationshintergrund (Statistik Austria, Österr. Gesundheitsbefragung 2019). Daten aus anderen Ländern zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch häufiger an Covid-19 erkrankt und verstorben sind.
Gesundheitliche Ungleichheit muss nicht sein. Es kann gezielt dagegen gearbeitet werden, indem z.B. leicht verständliche Informationen in vielen Sprachen zur Verfügung gestellt und gezielt verbreitet werden. Niederschwellige Beratungsangebote, die auch Übersetzung anbieten und gezielt weiter vermitteln können, wären ebenso hilfreich wie die Förderung von Kompetenzen für kultursensibles Arbeiten im Gesundheitssystem.
Mag.a Pia Andrea Zhang
Referentin in der Abteilung Sozialversicherung in der AK Wien
Migrant:innen sind in mehrfacher Hinsicht belastet – sowohl physisch (oft hohe Arbeitsbelastungen unter schlechten Bedingungen) als auch psychisch (teils schlechte soziale Situation, Traumatisierungen usw). Nach den Studienergebnissen einer aktuellen AK-Studie weisen Menschen mit „sichtbarem Migrationshintergrund“ im Bereich Gesundheit eine doppelte Wahrscheinlichkeit auf diskriminiert zu werden. Dazu kommen Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede im Gesundheitsverständnis. Die Gesundheitskompetenz ist laut Studien ebenfalls oft nicht so ausgeprägt.
Die Arbeiterkammer spricht sich generell für einen gleichen Zugang zur Gesundheit für alle und gegen eine Zwei-Klassen-Medizin aus. Dies gilt natürlich auch für Migrant:innen in Österreich bzw für nicht-österreichische Staatsbürger:innen.
Gerade im Gesundheitsbereich ist der gleichberechtigte und niederschwellige Zugang zu Leistungen relevant, da es sich um einen Bereich handelt, bei dem der Zugang oftmals lebensnotwendig ist, weshalb ganz besonders darauf geachtet werden muss. Neben systemischen Schwellen ist die Kommunikation ein zentraler Faktor. Sprachbarrieren können dazu führen, dass medizinische Behandlungen gar nicht, nicht rechtzeitig oder nicht im notwendigen Ausmaß erfolgen und hindern zusätzlich eine umfassende Information über Angebote im Gesundheitsbereich, weshalb diese auch nicht wahrgenommen werden.
Es ist daher wichtig die Diskriminierung im Gesundheitswesen zu beseitigen sowie Zugangsschwellen für Migrant:innen abzubauen bzw soweit möglich zu vermeiden. Hierzu zählt insbesondere der Abbau von Sprachbarrieren, beispielsweise ein ausreichendes Angebot an Videodolmetsch oder auch technischen Übersetzungstools zur Vermeidung akuter Problemfälle.
Mag.a Judith Pühringer
Stadträtin, Die Grünen Wien
Die Gesundheitskrise der Pandemie hat auch zu einer Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftskrise geführt. Nun scheint sich die Lage am Arbeitsmarkt zu entspannen – eine gute Nachricht. Denn Integration wird durch Erwerbsarbeit deutlich erleichtert. Neben einem geregelten Einkommen spielen dabei auch die am Arbeitsplatz geknüpften sozialen Kontakte eine wichtige Rolle. Allerdings sind noch immer deutlich zu viele Menschen ohne Beschäftigung und damals wie heute sind Menschen mit Migrationsgeschichte besonders stark von Arbeitslosigkeit und damit auch von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen.
Sorgen bereitet insbesondere die nach wie vor sehr hohe Langzeitbeschäftigungslosigkeit. Sie ist seit der Finanzkrise 2008 stark gestiegen. Nun droht sie sich bei rund 160.000 und damit fast der Hälfte der in Österreich arbeitslos gemeldeten Personen zu verfestigen. Viele langzeitbeschäftigungslose Menschen und deren Familien sind stark von Armut und damit unmittelbar auch von sozialer Ausgrenzung bedroht.
Die aktuelle Debatte über eine Arbeitsmarktreform ist eine Chance, sich dieser Gruppe besonders zu widmen. Dabei geht es einerseits darum, die Arbeitslosenversicherung armutsfester zu machen, anderseits darum, passende Angebote zu entwickeln, um auch langzeitbeschäftigungslose Menschen wieder verstärkt in Erwerbsarbeit zu integrieren.
Hier sind qualitätsvolle Aus- und Weiterbildung und entsprechende, den Lebensunterhalt absichernde finanzielle Unterstützungen gefragt. Schließlich können bessere Beratung und Betreuung und öffentliche Arbeitsplatzförderungen wie das Programm „Sprungbrett“ wertvolle Beiträge liefern. Um Menschen mit multiplen Vermittlungshindernissen wieder in Richtung Erwerbsarbeit zu bringen, müssen wir unbedingt den Ausbau von Arbeitsplätzen in sozialen Unternehmen vorantreiben und mit ökologischer Beschäftigung verbinden. Aber auch Bereiche, in denen Corona gezeigt hat, dass es deutlichen Mehrbedarf gibt, von der Gesundheit über die Bildung bis zur Pflege, bieten viel Beschäftigungspotenzial.
Eines ist jedenfalls klar: Hohe Langzeitbeschäftigungslosigkeit kommt die Betroffenen, aber auch uns als Gesellschaft am teuersten zu stehen. Angesichts aktueller Herausforderungen, allen voran die nicht mehr aufschiebbaren Maßnahmen gegen die Klimakrise, gibt es genug zu tun – und damit auch genug gute Arbeit für wirklich alle Menschen.
Dr.in Gaby Schaunig (SPÖ)
Landeshauptmann-Stellvertreterin und Landesreferentin für Arbeit, Kärnten
Der Arbeitsmarkt hat sich nach den Corona-Lockdowns gut erholt. So verzeichnen wir in Kärnten beispielsweise seit Juni Beschäftigungsrekorde, die das Vorkrisenniveau überschreiten. Bessere Voraussetzungen für die Arbeitsmarktintegration marginalisierter Gruppen gibt es nicht. Außerdem war die Zeit von Corona geprägt von Qualifizierung, die online stattgefunden hat. Viele MigrantInnen haben die Chance genutzt und ihre Sprachkenntnisse sowie ihre beruflichen Fähig- und Fertigkeiten aktiv verbessert. Sie alle sind gefragte Arbeitskräfte und erhöhen die dringend benötigte Diversität. Denn eine globalisierte Welt erfordert nicht nur Mehrsprachigkeit und Vielfalt. Vielmehr braucht eine zukunftsfähige Gesellschaft Diversität, um Dienstleistungen und Produkte zu entwickeln, die einen nachhaltigen Mehrwert für alle bereithalten. Nur wer integriert, statt auszuschließen, kann fortschrittlich, langfristig erfolgreich, mehrheits- und gesellschaftsfähig bleiben. Der Arbeitsmarkt und die Wirtschaft der Zukunft brauchen Diversität und eine Gleichstellung entlang aller Diskriminierungsfaktoren.