Bildung in der postmigrantischen Gesellschaft

Wie sieht Bildung in einer postmigrantischen Gesellschaft aus? Mit welchen Herausforderungen sehen sich österreichische Bildungsinstitutionen in Bezug auf Migration, Integration und Teilhabe konfrontiert? Wie gelingen Integration und Teilhabe durch Bildung?

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Dr. Peter Kaiser (SPÖ)

Landeshauptmann von Kärnten

Bildung hat eine Schlüsselfunktion, wenn es um eine gleichberechtigte Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen für MigrantInnen geht. Ziel ist es, eine Einheit in der Vielfalt zu ermöglichen und eine Gesellschaft des kulturellen Miteinanders zu fördern, in der auch der Mehrwert durch das Kennenlernen und Verstehen anderer Kulturen erkannt wird, ohne dabei die eigenen Werte und kulturellen Lebensleitlinien aufzugeben. Dazu braucht es ein Bildungssystem, das allen Chancen eröffnet – auch Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Deshalb muss Integration von Anfang an in den Kinderbildungseinrichtungen, Schulen und Universitäten als gesellschaftliche Herausforderung mitgedacht werden.

 

Die österreichischen Bildungsinstitutionen sind in Bezug auf Migration, Integration und Teilhabe aber mit mehreren Herausforderungen konfrontiert. Dazu gehören die oft fehlende Alphabetisierung und die geringe bis gar nicht vorhandene institutionelle Vorbildung der Kinder. Durch fehlende Sprachkenntnisse erfahren viele Kinder Bildungsbenachteiligung. Sprachliche Barrieren erschweren auch die so wichtige Elternarbeit. Mehr Ressourcen für Sprachförderung sind notwendig. Auch die gehäufte Migration durch kommunale Wohnpolitik stellt die Bildungseinrichtungen vor eine Herausforderung.

Wie kann also Integration durch Bildung gelingen? Die Konzepte eines integrativen Schulsystems müssen bei der Sprachförderung beginnen, um dann jene Kompetenzen ausbilden zu können, die für ein Vorankommen in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt notwendig sind. Lernprozesse müssen durch die steigende kulturelle Vielfalt der SchülerInnen individueller gestaltet werden. Dazu gehört auch, dass für das Bildungspersonal entsprechende Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen angeboten werden und professionelle Kooperationen zu integrativen Angeboten außerhalb der Bildungseinrichtungen vorhanden sind. Vor allem müssen auch die Eltern in den Integrationsprozess miteinbezogen werden.

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Elke Kahr (KPÖ)

Bürgermeisterin von Graz

Die österreichische Gesellschaft verändert sich ständig – in ihrer Zusammensetzung, in ihrem Selbstverständnis und in ihren Werten. Zum Teil ist diese Veränderung auch durch das Migrationsgeschehen bedingt, aber nicht nur. Damit unsere Bildungsinstitutionen ihren Auftrag bestmöglich erfüllen können, ist es in jedem Fall notwendig, sie stetig weiterzuentwickeln und an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen.

Im Zusammenhang mit dem Thema Migration wäre es wichtig, die Ressourcen wie zum Beispiel verschiedene Sprachen und Kulturtechniken als solche zu erkennen und in den allgemeinen Bildungsprozess zu integrieren. Das ist natürlich eine riesige Herausforderung, weil damit der Bildungspool viel größer wird, als wenn man sich allein auf die traditionellen österreichischen Bildungsinhalte beschränkt. Und das wiederum ist nur mit einer Ausstattung der Bildungseinrichtungen mit einer entsprechenden Anzahl an engagiertem Bildungspersonal realisierbar. Dieser Prozess wäre aber in jeder Hinsicht ein fruchtbarer und bereichernder, da das Miteinander- und Voneinander-Lernen schon automatisch zur Integration, zum Abbau von Ängsten und zu einem besseren wechselseitigen Verständnis beiträgt. Dies setzt allerdings ein gesamtgesellschaftliches Selbstverständnis der Gleichwertigkeit voraus – und hier beginnen leider oft gesellschaftliche Konflikte, weil ebendieses Selbstverständnis fehlt. Wer Bildung ernst nimmt, muss auf jeden Fall erkennen, dass es sich dabei um einen Grundpfeiler für ein künftig gelingendes und friedliches Miteinander handelt und dass die öffentliche Hand, wenn man es gut machen will, die finanziellen Mittel bereitstellen muss, damit qualifiziertes Personal in der erforderlichen Anzahl gute Arbeit leisten kann.

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Univ.-Prof. Edeltraud Hanappi-Egger

Rektorin der Wirtschaftsuniversität Wien

Österreich war immer schon ein Einwanderungsland. Die Bevölkerungsstruktur ist folglich sehr international, der Bildungsstand je nach Zuwanderungsland sehr unterschiedlich. Gerade im heimischen Bildungssystem gibt es nach wie vor Aufholbedarf, was soziale Mobilität und Chancengerechtigkeit betrifft. Obwohl in zahlreichen Studien untermauert wird, dass sich die frühe Selektion mit zehn Jahren in Österreichs Bildungssystem negativ auf die Aufstiegschancen auswirkt und international auch völlig unüblich ist, gibt es nach wie vor keine Bewegung in diesem Bereich. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder aus bildungsnahen Familien später einmal studieren werden, ist in Österreich mehr als doppelt so hoch wie für Kinder, deren Eltern über keine Matura verfügen.

Ein Universitätsstudium verlangt einen hohen Grad an Selbstorganisation. Jungen Menschen aus bildungsfernen Milieus fehlt es dabei oft auch an Wissen, was an einer Universität erwartet wird. Es mangelt ihnen aber natürlich nicht per se an Talenten oder Leistungsfähigkeit. Oft braucht es nur die Ermutigung durch eine (Lehr-)Person, um den Schritt an eine Höhere Schule oder an die Uni zu wagen. Dabei ist es erwiesen, dass gute Bildung einerseits der Schlüssel zu persönlichem Wohlstand und Gesundheit ist, aber ebenso auch eine wichtige Rolle für die Stabilität von Demokratien spielt. Bildung ermöglicht es Menschen, sich kritisch mit komplexen (politischen) Ansichten zu beschäftigen und diese zu hinterfragen. Sie lehrt auch, stichhaltige und faktenbasierte Diskussionen zu führen, aber vor allem, respektvoll miteinander umzugehen. Und das sind wichtige Elemente, damit das Zusammenleben, egal in welcher Gesellschaft, bestens funktioniert. All das sollte uns als Gesellschaft viel wert sein.

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Klaus Luger (SPÖ)

Bürgermeister von Linz

Bildung ermöglicht uns eine persönliche Weiterentwicklung, stärkt unser Selbstbewusstsein und vergrößert unser Wissensspektrum. Migrationsbewegungen erlauben uns – unabhängig von ihren Beweggründen – gesellschaftliche Veränderungen. Die Implementierung dieser gesellschaftlichen Bewegungen in die Wissensbildung ist ein wesentlicher Grundpfeiler, um Strukturen, Institutionen und politische sowie kulturelle Ebenen zu verstehen und anzupassen. Österreich und insbesondere dessen Städte wie beispielsweise Linz zählen zu jenen Ländern bzw. Kommunen, in denen postmigrantische Gesellschaften in einem hohen Ausmaß anzutreffen sind. Längst reicht es nicht mehr aus, sich lediglich auf das Erlernen einer Sprache zu fokussieren. Ein Verständnis für kulturelle, ethnische, religiöse und nationale Unterschiede zu entwickeln, erweist sich als eine der substanziellen Aufgaben. Das ist eine Herausforderung für österreichische Bildungsinstitutionen in Bezug auf Migration, Integration und Teilhabe, für Menschen, die in weniger kulturell diversen Gesellschaften aufgewachsen sind, sowie für jene Menschen, die in postmigrantischen Gesellschaften aufgewachsen sind, und jene, die erst daran teilnehmen.

Bildung stellt einen essenziellen Teil unseres politischen Systems dar, um Integration und Teilhabe erfolgreich umzusetzen. Dadurch gelingen in den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ein reger Austausch und ein Erlernen anderer Sprachen und kultureller Positionen. Für Bildungsinstitutionen ist es von wesentlicher Bedeutung, Diversität in ihre Stoffgebiete zu integrieren und diese auch durch Personen, die Wissen vermitteln, zu repräsentieren.

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Harald Kainz

Rektor TU Graz

Integration durch Bildung funktioniert – mit einem Bildungssystem, das Migrationsbiografien unterstützt und Bildung für alle zugänglich macht. Die erste wichtige Entscheidung dazu fällt nach der Schulpflicht, wo es Anreize geben muss, die eigene Bildung fortzusetzen. An den Hochschulen können wir insofern dazu beitragen, dass wir Rahmenbedingungen schaffen und ein Vorbild dafür sein können, dass Bildung erstrebenswert ist und spannende Möglichkeiten schafft.

 

An der TU Graz kommen mehr als 3.700 Studierende aus 100 unterschiedlichen Herkunftsländern weltweit. Ein Teil davon bleibt nach erfolgreichem Studienabschluss in Österreich, andere verfolgen ihre Karriere an einem anderen Ort oder gehen in ihre Heimat zurück.

Dem gegenüber stehen 10.000 weitere Studierende, die in der Statistik als ÖsterreicherInnen erfasst sind – mit ebenso diversen Hintergründen. Ob es die sogenannten „Migrationshintergründe“ sind oder andere Formen von Vielfalt: An der TU Graz sehen wir Offenheit und Verschiedenheit als wichtige Werte. Unterschiedliche Erfahrungen und vielfältige Denkweisen sind der Motor für unsere Kreativität und Innovation – ein großer Vorteil unserer postmigrantischen Gesellschaft.

Die TU Graz fördert eine Kultur der Vielfalt und Wertschätzung. Eine rasche Integration wird vor allem durch unser Welcome Center ermöglicht, das Studierende genauso wie neue Mitarbeitende individuell berät. Wir bieten zahlreiche weitere Unterstützungen beim Einstieg ins Studium – von zweisprachigen Welcome-Days bis hin zu einem zweisprachigen Intranet für Studierende. In technischen Wissenschaften ist die Forschungs- und Vortragssprache großteils Englisch. Durch die Internationalisierungsstrategie haben wir viele Masterstudien auf Englisch umgestellt und minimieren damit Sprachbarrieren. Um kulturelle sowie individuelle Unterschiede wie Alter, Religion, Weltanschauung, ethnische Herkunft etc. als Potenziale zu erkennen und zu nutzen, bietet die TU Graz Kurse zu „Intercultural Awareness“ oder „Relevantes Know-how für eine menschenfreundliche, geschlechter- und diversitätsbewusste Technik und Naturwissenschaft“ an.

 

Wir haben ganz hervorragende und erfolgreiche Studierende mit Migrationshintergrund. Die Kulturen und Lebensläufe sind vielfältig. Wenn wir es schaffen, das Know-how einer Person in den Mittelpunkt zu stellen und den Mehrwert von Diversität zu verinnerlichen, haben wir einen großen Schritt in Richtung Integration durch Bildung geschafft.

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Mag. Kemal Boztepe

Stv. Abteilungsleiter der MA 17 der Stadt Wien – Integration und Diversität

„Wo Ungleiches gleichbehandelt wird, reproduziert sich Ungleichheit. Vielmehr müsste Ungleiches gezielt ungleich behandelt werden.“ Aladin El-Mafaalani, Mythos Bildung.

Bevor wir zum Begriff der „postmigrantischen“ Gesellschaft übergehen: Machen wir einen Schritt zurück und halten fest, dass es nicht einmal einen breiten Konsens darüber gibt, dass wir längst eine „Migrationsgesellschaft“ geworden sind! Aber ohne ein gemeinsames Grundverständnis davon, was wir sind, können wir auch keine Konzepte und Strategien entwickeln, welche die ganze Gesellschaft unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, Hautfarbe oder Herkunft mitnehmen. Im Kontext von „MigrantInnen“ wird teilweise weiterhin von „vulnerablen Gruppen“, von „schwer erreichbaren Gruppen“ und von „Randgruppen“ gesprochen. Dabei sprechen wir hier von knapp 50 % der Stadtgesellschaft.

Ähnlich verhält es sich in der Schulstatistik: Jedes Jahr hören wir von Schulen, in denen hohe Anteile der SchülerInnen keine deutsche „Umgangssprache“ haben. Doch diese Zahlen sagen nichts darüber aus, wie gut diese SchülerInnen Deutsch sprechen oder wie gut ihre Schulen ausgestattet sind. Das Einzige, was wir mit Sicherheit aus diesen Zahlen herauslesen können, ist, dass viele SchülerInnen eben mehrsprachig sind. Es ist evident, dass Mehrsprachigkeit nie ein Nachteil sein kann. Wer das Gegenteil behauptet, soll sich mal einsprachig über die Landesgrenze hinausbewegen.

Aber was bedeutet nun die Kenntnisnahme bzw. Anerkennung der „Migrationsgesellschaft“ im Kontext der Schule? Die Schule ist nicht dafür da, Ungleichheiten zu zementieren oder bestehende noch weiter zu verschärfen. Sie soll stattdessen ein Ort der Chancengleichheit sein, die Fertigkeiten und Fähigkeiten aller fördern, Defizite ausgleichen und diese nicht auf Kinder und deren Eltern umwälzen. Solange auch die PädagogInnen einer Schule (von den LehrerInnen bis zu den DirektorInnen) nicht ein Spiegelbild der durch Diversität gekennzeichneten SchülerInnen sind, werden wir wohl kaum in der „Migrationsgesellschaft“ – geschweige denn in einer „postmigrantischen Gesellschaft“ – angekommen sein. Falls das Kostenargument ins Spiel gebracht werden sollte, darf ich John F. Kennedy zitieren: „There is only one thing in the long run more expensive than education: no education.“

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Dr. Gerald Bast

Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien

Die Welt, in der wir leben, ist geprägt von Veränderung, Mehrdeutigkeit und Ungewissheit. Künstliche Intelligenz und Robotik erzwingen eine Neudefinition des Begriffs der menschlichen Arbeit. Synthetische Biologie und Quantentechnologie werden unser Leben grundlegend verändern. Und das alles findet gleichzeitig und innerhalb weniger Jahrzehnte statt.

Der Umgang mit Veränderung, Mehrdeutigkeit und Ungewissheit steht derzeit nicht im Zentrum der Bildungsziele von Schulen und Universitäten. „Die Geschichte der Menschheit ist ein Wettlauf zwischen Bildung und Katastrophe“, soll H.G. Wells einmal gesagt haben.

Es ist nicht die Frage, OB die Klimakrise Millionen von Menschen dazu zwingen wird, in andere Gegenden der Welt zu ziehen. Die Klimakrise trifft genau jene Regionen am stärksten, in denen es die höchste Bevölkerungsdichte und das höchste Bevölkerungswachstum gibt. Überflutungen, Dürre, Hunger und kriegerische Konflikte sowie der Mangel an Lebensperspektiven werden massive Migrationsbewegungen auslösen. Wie schon so oft im Laufe der Zivilisation werden sich die Menschen in andere Länder und Kontinente aufmachen, wo sie bessere Lebensbedingungen erwarten. Es macht keinen Unterschied, ob man das Kriegsmigration, Klimamigration oder Wirtschaftsmigration nennt.

Die Frage ist nicht, OB das alles zu einer dramatischen Veränderung unserer Gesellschaft führen wird. Die entscheidende Frage ist, ob es rechtzeitig gelingen wird, die Menschen auf diese Veränderung vorzubereiten.

Nicht das Denken innerhalb isolierter Wissensdisziplinen und entlang linearer Kausalitätsketten, nicht das Denken in den Kategorien „Ja“ oder „Nein“, „Richtig“ oder „Falsch“, „Eins“ oder „Null“, nicht das technokratische Wissen um den Bau von Mauern, Zäunen oder sonstigen Abwehrmechanismen wird die Zukunft retten, sondern das Akzeptieren von Widersprüchen und Mehrdeutigkeiten als konstruktive gesellschaftliche Gestaltungselemente sowie die Fähigkeit zu einem Perspektivenwechsel und zur Herstellung von Verbindungen zwischen Disziplinen und Kulturen. Das muss zur bildungspolitischen Leitlinie werden. Jetzt. Weil: Es braucht Zeit, bis Bildung wirkt.

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Marina Hanke

Abgeordnete zum Wiener Landtag und Gemeinderat sowie Vorsitzende der Wiener SPÖ-Frauen

Bildung kann und soll ein Schlüssel zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe sein. Sie sorgt derzeit aber immer noch in vielen Fällen für das genaue Gegenteil. In Österreich wird Bildung vererbt. Die frühe Trennung in unterschiedliche Schultypen, aber auch ein bundesweit fehlender Chancenindex, der Schulen mit besonderen Herausforderungen mit zusätzlichen Ressourcen unterstützen könnte, sorgen dafür, dass Bildungswege vorgeschrieben sind: AkademikerInneneltern = AkademikerInnenlaufbahn der Kinder. Wer nicht aus einer höheren Bildungsschicht stammt, hat wenig bis gar keine Chance auf einen höheren Bildungsabschluss. Dieser grundlegende Strukturfehler verschränkt sich mit der Abwertung und dem strukturellen Ausschluss von Menschen mit Migrationsbiografie oder Migrationshintergrund, die bestimmte junge Menschen im Bildungssystem von vornherein abschreiben und ausselektieren.

Integration durch Bildung kann nur gelingen, wenn sowohl Integrations- als auch Bildungspolitik die (soziale und politische) Teilhabe aller Menschen in den Fokus rücken und sich zum Ziel setzen, allen Menschen individuelle Selbstbestimmung und Emanzipation zu ermöglichen. Was es dazu braucht, liegt auf der Hand: bundesweit massive Investitionen in ganztägige Bildungseinrichtungen, eine Gesamtschule, welche die frühe Trennung in unterschiedliche Schultypen beseitigt, und die Bereitstellung von ausreichend zusätzlichen Ressourcen, um auf spezifische Herausforderungen in einzelnen Bildungseinrichtungen eingehen zu können, ausreichend Ressourcen für die Förderung von Mehrsprachigkeit und die aktive Einbindung der Lernenden in die Gestaltung und Organisation von Bildung, vor allem aber die Überzeugung und den politischen Auftrag, allen Kindern und Jugendlichen die beste Bildung zu ermöglichen – denn sie haben ein Recht darauf.

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HRin Mag.a Ruth Petz

Rektorin der Pädagogischen Hochschule Wien

Migration ist historisch gesehen eine anthropologische Konstante. In unserem globalen Zeitalter ist sie Teil jeder funktionierenden Gesellschaft. Bildung in der postmigrantischen Gesellschaft verlangt das Überwinden von Stereotypen und ein Neudenken des gesamten Feldes, in dem der Migrationsdiskurs geführt wird. Der Integrationsbegriff erzeugt die Vorstellung, dass es Menschen gäbe, die „fremd“ sind und nicht in ein nationales Gefüge hineinpassen. Nur weil jemand, der zweisprachig aufwächst, noch eine andere Sprache als Deutsch spricht, ist sie oder er aber noch lange nicht „anders“. Alles andere als das: In Wien sprechen knapp 60 Prozent der Kinder, die in die Primarstufe eingeschult werden, neben Deutsch noch eine oder mehrere weitere Sprachen. Mehrsprachigkeit ist also ein Faktum unserer Gesellschaft. In der Aus-, Fort- und Weiterbildung von LehrerInnen richten wir als Pädagogische Hochschule Wien den Fokus auf eine Schule in der Migrationsgesellschaft, die sich diskriminierungskritisch und zuschreibungsreflexiv wahrnimmt. Schule ist ein Abbild der gesellschaftlichen Realität. Bildungsinstitutionen wie die Schule müssen als normative Apparate der Gesellschaft verstanden werden, in denen ausgehandelt wird, welche Werte und Verhaltensweisen für das Zusammenleben in einer postmigrantischen Gesellschaft konstitutiv sind. Ungleiches darf nicht gleich behandelt werden. Das würde die Ungleichheit verstärken und reproduzieren. Vielmehr muss Ungleiches gezielt ungleich behandelt werden, um die Bildung von SchülerInnen und in weiterer Folge die gesellschaftliche Teilhabe dieser zukünftigen Erwachsenen zu ermöglichen.

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Mag. Yannick Shetty (NEOS)

Nationalratsabgeordneter

Bildung ist wie so oft auch im Integrationsbereich der zentrale Hebel, um eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und sich selbst entsprechend entfalten zu können. Dafür ist es unbedingt notwendig, bereits im Kindergarten bei der frühkindlichen Bildung, zum Beispiel in Form von Sprachförderung, anzusetzen und Bildungseinrichtungen mit den notwendigen Ressourcen auszustatten, damit die am jeweiligen Standort anfallenden individuellen Bedürfnisse von SchülerInnen abgedeckt werden können. Leider trifft gerade im Bildungsbereich ein starres, schwerfälliges und in vielen Bereichen festgefahrenes System auf eine sich sehr schnell verändernde, bunte und immer vielfältiger werdende Gesellschaft. Das erzeugt Reibungen, die oftmals leider zulasten der SchülerInnen, PädagogInnen und Familien gehen und sich in verfehlten politischen Ansätzen äußern.

Bildung muss in einer postmigrantischen Gesellschaft jedoch flexibel sein, um den vielfältigen Bedürfnissen ihrer Mitglieder gerecht werden zu können. Sie darf nicht abgesondert stattfinden, wie es derzeit in den segregierenden Deutschförderklassen passiert, sondern muss mit der Gesamtgesellschaft passieren. Sie braucht innovative Ansätze, engagierte PädagogInnen und vor allem den nötigen Spielraum, um neue Bildungskonzepte umzusetzen. Wir setzen uns daher für autonome Schulen frei von Parteipolitik ein, die mithilfe eines sogenannten Chancenindex mit den notwendigen Mitteln für die individuelle Förderung jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers ausgestattet ist und vor Ort flexibel auf Herausforderungen reagieren kann.

Mehrsprachigkeit muss außerdem als wertvolle Ressource anerkannt und entsprechend gefördert werden. Wenn wir wollen, dass alle Menschen ungeachtet ihres ethnischen oder sozio-ökonomischen Hintergrunds ihr volles Potenzial in unserer vielfältigen Gesellschaft voll ausschöpfen können, dann muss das Bildungswesen nachziehen und ebenso vielfältig werden.

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Kurt Hohensinner, MBA

(ÖVP), Bildungs- und Integrationsstadtrat Graz

„Bildung ist der Schlüssel zur Integration.“ In der Stadt Graz setzen wir daher schon seit Jahren massiv auf den Bildungsbereich und versuchen, die Integration mit diesen Mitteln bestmöglich zu begleiten. Ein wesentlicher Schritt dazu war, dass wir die Bildungs- und Integrationsagenden in einem Ressort gebündelt haben. Dies eröffnet uns viele Möglichkeiten und verhindert zum Beispiel Doppelgleisigkeiten in der Sprachförderung oder Ressortkonflikte. Gerade die Sprachförderung war und ist uns ein wesentliches Anliegen. Ob im Kindergarten oder im Schulbereich: Die Stadt Graz fördert massiv das Erlernen der deutschen Sprache – entweder über den Umweg der muttersprachlichen Unterstützung oder direkt durch Deutschkurse bzw. Deutschfördermaßnahmen. Ziel ist, dass jede und jeder die Sprache so gut beherrscht, dass sie oder er in weiterer Folge am Unterricht teilnehmen kann.

Neben den Förderungen im klassischen institutionellen Bildungsbereich gibt es auch zahlreiche Sprachfördermaßnahmen für Erwachsene, die genau dort ansetzen, wo andere Gebietskörperschaften keine Fördermaßnahmen anbieten. Dieses subsidiäre Prinzip ermöglicht uns, jene Gruppen aktiv anzusprechen, die sonst wenige Möglichkeiten zum Erlernen der deutschen Sprache vorfinden. Beispielhaft seien hier EU-BürgerInnen und jene Personengruppe genannt, die Kurse mehrmals besuchen muss. Durch dieses engmaschige Netz und unterstützt durch die Plattform „Startpunkt Deutsch“, die seitens der Stadt Graz gemeinsam mit dem Land Steiermark und dem Österreichischen Integrationsfonds entwickelt wurde, gelingt es, den ankommenden, aber auch den schon länger vor Ort befindlichen Personen passgenaue Deutschkursangebote zur Verfügung zu stellen. Ziel ist es, jeder und jedem in Graz ein Deutschniveau zu ermöglichen, das eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft und damit auch den wichtigen Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft ermöglicht.

Zusätzlich wird seitens des Integrationsbereichs den Menschen auch eine Unterstützung auf ihrem weiteren Bildungsweg angeboten und ihnen damit so rasch wie möglich eine Ausbildung ermöglicht, die eine aktive Teilhabe am Arbeitsmarkt zulässt. Neben diversen Jobbörsen sind hier insbesondere verschiedene Programme zu nennen, die Personen mit Migrationshintergrund das Kennenlernen von bzw. die ersten Schritte in bestimmten Berufsfeldern ermöglichen. Beispielhaft sei hier der Verein „Mentorus“ erwähnt, der seit Jahren das Ziel hat, Jugendlichen aus Afghanistan eine Ausbildung zu verschaffen, und dies auch mit einer sehr hohen Erfolgsquote umsetzt. Die vorgegebene Begrenzung der Zeilen ermöglicht leider nur diesen kurzen Querschnitt jener Programme und Projekte, welche die Stadt Graz entweder selbst organisiert oder gemeinsam mit zahlreichen Partnerorganisationen unterstützt. Abschließend sei daher noch einmal auf das eingangs erwähnte Credo verwiesen: „Bildung ist der Schlüssel zur Integration.“
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Mag.a (FH) Daniela Winkler (SPÖ)

Landesrätin Burgenland

Bildung und Migration sind zwei Themenfelder, die sehr eng miteinander verknüpft sind, aber ein breites Betätigungsfeld für sich beanspruchen. So findet Bildung nicht nur in der Schule statt. Als erste und wichtige Bildungseinrichtungen betrachten wir die Kinderkrippen und Kindergärten. Dort erlernen Kinder Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die für ihre Entwicklung und ihren weiteren Bildungsweg von essenzieller Bedeutung sind. Dabei geht es im Besonderen um die sozialen Aspekte, die für Integration und Teilhabe besonders wichtig sind. Je früher Kinder Akzeptanz für das Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien mit ihren Kulturen entwickeln, desto leichter und besser funktioniert Integration in späteren Entwicklungsphasen. Bildung und Migration gehen insbesondere in den Bildungseinrichtungen einen gemeinsamen Weg. Das gilt in gleicher Weise für die Erwachsenenbildung, denn der Bildungsweg endet nicht mit dem Austritt aus der Schule. Das wird uns in der gesellschaftlichen Entwicklung heutzutage deutlich vor Augen geführt. Lebenslanges Lernen bedeutet in gleicher Weise eine lebenslange Chance für Integration.

Eine große Herausforderung in diesem Bereich ist die sprachliche Komponente. Wenn unterschiedliche Sprachen in der Kommunikation eine Barriere bilden, braucht es schon im frühen Alter entsprechende Maßnahmen. Das sprachliche Bildungsangebot im Burgenland umfasst nicht nur die Sprachen der Volksgruppen, Ungarisch, Kroatisch und Romanes, sondern auch den frühzeitigen freiwilligen Englischunterricht in der Volksschule. Damit lernen Kinder schon sehr früh eine universelle Sprache, die eine breite Kommunikation ermöglicht und Schranken abbaut.

Umstände und Merkmale, die einen Migrationshintergrund als solchen erkennen lassen, sind in der Gruppe im richtigen Kontext zu positionieren und zu thematisieren. Es darf im Bildungsalltag keinen Anlass für Ausgrenzungen geben und sowohl Kinder als auch Erwachsene müssen die gleichen Chancen vorfinden. Das ist eine wichtige Voraussetzung für umfassende und faire Bildungsbeteiligung.

Das Burgenland ist ein Vorzeigeland in Sachen Integration und Teilhabe. Seit mehr als 100 Jahren leben in unserem Bundesland mehrere Volksgruppen friedlich miteinander. Das Burgenland ist von einer ländlichen Struktur mit kleinen Einheiten geprägt. Das sind günstige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration, ob in der Dorfgemeinschaft oder in den Bildungseinrichtungen. Die kulturelle Vielfalt des Burgenlandes ist getragen von Toleranz und Akzeptanz. Diese Attribute sind wesentliche Faktoren für eine erfolgreiche Integration und Teilhabe.

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Veronika Lippert

Obfrau des Vereins Elternwerkstatt

„Durch Wissen kommt der Mensch zur Menschlichkeit.“ (Hafis)

Durch unsere direkte interkulturelle Arbeit mit Eltern und deren Familien sehen wir, dass Bildung den Schlüssel zu einer stabilen postmigrantischen Gesellschaft darstellt. Für uns ist Bildung der Sprung vom Wissen ins Herz. Eine große Herausforderung ist dabei, das Vertrauen auf beiden Seiten aufzubauen. Das gegenseitige emotionale Einlassen bzw. Entlasten ermöglicht gelebte Interkulturalität. Es ist von großer Bedeutung, hier eine wertfreie, wechselwirkende Kommunikation zu ermöglichen, um alle Seiten zu verstehen. Gelingt dies, dann gelingt auch Integration ganz von selbst. Geht‘s den Eltern gut, dann geht‘s den Kindern gut. Geht‘s den Familien gut, dann geht‘s der Gesellschaft gut. Genau hier knüpfen wir an und arbeiten tagtäglich, um diesen Ansatz in der Elternwerkstatt umzusetzen. Denn nichts ist emotionaler als die Verbindung zwischen Eltern und ihren Kindern. In unserem Projekt, zertifizierte fremdsprachige ElterntrainerInnen auszubilden (Kooperation mit dem Verein AFYA und dem Verein NACHBARINNEN), und in der intensiven Zusammenarbeit mit diesen sehen wir, dass Integration und somit eine beständige postmigrantische Gesellschaft gelingen. Für uns ist Elternbildung Präventions- bzw. Integrationsarbeit. Für uns als Bildungseinrichtung ist es wichtig, den Kontakt zu den jeweiligen Communitys herzustellen und dort Vertrauensarbeit zu leisten. Oft sind wir auf ÜbersetzerInnen angewiesen: Unterlagen müssen angepasst und Vernetzungstreffen abgehalten werden. Das ist zeitaufwendig. Daher wird das ehrenamtlich gemacht, damit das Budget des Vereins geschont wird. Eine gezielte finanzielle Unterstützung wäre eine große Entlastung und Wertschätzung. Beate A. Tröster meinte einmal treffend: „Wenn jeder Mensch erkennt, dass er den Umgang mit Menschen aus anderen Ländern lernen kann und dies auch tut, gäbe es ein besseres Miteinander.“

In diesem Sinne geben wir unser Bestes und bleiben dran!

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Mag.a Dolores Bakos, BA

Abgeordnete zum Wiener Landtag und Gemeinderat sowie NEOS-Sprecherin für Jugend, Frauen, Integration und Europa

Bildungseinrichtungen sind Orte, an denen Kinder und Jugendliche ihre Talente, Interessen und Begabungen entdecken können und in einer Atmosphäre der Wertschätzung und des gegenseitigen Respekts gemeinsam in die Zukunft schreiten können. Wien ist eine Stadt der Vielfalt, der Weltoffenheit, des Respekts, des Miteinanders und des Zusammenhalts. Diese Werte wollen wir auch gemeinsam in allen Bildungseinrichtungen leben. In all unserem Tun verschreiben wir uns dem Ziel, allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Kultur- und Religionszugehörigkeit die größtmögliche Chancengerechtigkeit beim Zugang zu Bildung zu ermöglichen.

Der Kindergarten ist die erste Bildungseinrichtung. Gerade in dieser prägenden Phase ist es wichtig, Kinder nach ihren jeweiligen Bedürfnissen zu fördern. In Wien haben wir einen großen Schatz an Sprachenvielfalt. Sprache dient nicht nur der Kommunikation, sondern ist auch eng damit verknüpft, wer wir sind. Um Kinder von Beginn an bestmöglich in ihrer gesamten Entwicklung zu fördern und zu unterstützen und ihnen einen positiven Zugang zu Sprache und zum Spracherwerb zu ermöglichen, wird in Wien intensiv in die Sprachförderung investiert. 2025 werden insgesamt 500 Sprachförderkräfte die Kinder in den Wiener Kindergärten begleiten.

Eltern prägen die Schullaufbahn ihrer Kinder maßgeblich mit – eine erfolgreiche Bildungslaufbahn erfordert die Zusammenarbeit von Kindern, Erziehungsberechtigen und PädagogInnen. In Wien können daher Erziehungsberechtigte, die mit dem österreichischen Schul- und Bildungssystem noch nicht vertraut sind, aus einem breit gefächerten Unterstützungsangebot wählen, um ihre Kinder in ihrer Schullaufbahn gut begleiten zu können. Es ist wichtig, gemeinsam an einem wohlwollenden Miteinander im Bildungsalltag zu arbeiten, damit Kinder und Jugendliche sich sicher und angenommen fühlen, ein positives Selbstbild entwickeln können und zuversichtlich in die Zukunft blicken können.

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O.Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Dr.-Ing. h.c. Sabine Seidler

Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko)

Eine Universität lebt von Diversität, sei es durch die Menschen, die dort studieren, lehren und arbeiten, oder durch die Ideen, die sie hervorbringen und gemeinsam diskutieren. Das sorgt mitunter auch für Konflikte und Kontroversen. Aber ebendiese Reibungsflächen sind es, die eine Institution ebenso wie unsere Gesellschaft voranbringen. Und hier haben die Universitäten als Seismografen gesellschaftlicher Entwicklungen und Ideenlabore der Zukunft eine große Verantwortung. Auch wenn die österreichische Hochschullandschaft bereits ein hohes Maß an Diversität, Pluralität und Internationalität aufweist, so gilt es vor allem, den Bildungsaufstieg von Menschen aus bildungsfernen Haushalten bzw. aus Familien mit Migrationshintergrund zu fördern. Denn Bildung wird in Österreich nach wie vor vererbt. Zudem müssen sich Universitäten einem permanenten kritischen Reflexionsprozess stellen, um auch versteckte Formen von diskriminierenden Strukturen, Praktiken und Denkweisen zu identifizieren. Neben einer Förderung interkultureller Kompetenzen und sprachlicher Vielfalt braucht es zudem eine Stärkung der demokratischen Debattenkultur innerhalb und außerhalb der Universitäten.

Ein positives Beispiel dafür, wie Integration durch Bildung gelingen kann, ist die 2015 von der uniko ins Leben gerufene Initiative MORE. Diese hat in den vergangenen Jahren ca. 4.000 Geflüchteten einen Zugang zum österreichischen Hochschulsystem ermöglicht. Indem die 22 öffentlichen Universitäten in diversen Lehrveranstaltungen Plätze für Geflüchtete zur Verfügung stellen bzw. eigene Kurse anbieten, findet auf unterschiedlichen Ebenen eine unbürokratische und unmittelbare Integration statt: MORE-Studierende konnten durch das Programm nicht nur ihre Deutschkenntnisse verbessern und sich bestimmte Qualifikationen aneignen, sondern erhielten auch einen wichtigen Einblick in das österreichische Bildungssystem und nutzten das Projekt als Sprungbrett für weiterführende Studien, außeruniversitäre Ausbildungen oder erste Berufserfahrungen. Von den sozialen Interaktionen, neuen Freundschaften und kulturellen Austauschbeziehungen profitieren sowohl die Studierenden als auch die Universitäten.

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Dr.in Helga Krismer

Vizebürgermeisterin von Baden, Fraktionsobfrau im niederösterreichischen Landtag Die Grünen

Eine sich selbst als „postmigrantisch“ bezeichnende Gesellschaft setzt voraus, ein Selbstverständnis als solche zu entwickeln. Dass derzeit circa jede fünfte in Österreich aufhältige Person nicht in Österreich geboren wurde, wollen viele Menschen in unserem Land ausblenden. Die Zahlen, Daten und Fakten lügen nicht: Österreich ist eine postmigrantische Gesellschaft. Und: Österreich wird das auch in Zukunft in zunehmendem Ausmaß sein müssen, wenn sich Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt noch finden sollen. Das ist die positive Formulierung. Die traurige Formulierung ist, dass die durch die Klimakrise Vertriebenen mehr werden. Sprache, Bildung und das Verständnis für unterschiedliche Kulturen und Religionen in einer liberalen Gesellschaft sind Eintrittstickets für ein gutes Leben (mit dem Quäntchen Glück, das jedeR braucht). Bildung nimmt dabei die Hauptrolle ein. Am derzeitigen Schulsystem scheitern mittlerweile Kinder aus unterschiedlichen Milieus, weil es wie ein Telefon mit Wählscheibe aus der Zeit fällt. Unser Schulsystem reitet noch immer auf den Defiziten herum, anstatt die individuellen Begabungen und Fähigkeiten zu fördern. Die Bildung der Persönlichkeit sowie das „Empowerment“ von Kindern und Jugendlichen und insbesondere von Mädchen sind in den Mittelpunkt zu stellen. Würde die Schule andere Lernziele verfolgen, würden Kinder mit Migrationshintergrund in Verbindung mit einkommensschwachen Haushalten am meisten davon profitieren. Alle Kinder und Familien brauchen klare Strukturen und eine Trennung von Schule und Freizeit/Familie, indem es nur noch ganztägige Schulformen mit gemeinsamem Mittagessen und keinen Hausübungen mehr gibt. Es soll zudem ausreichend Fördereinheiten geben, um die Mindestanforderungen zu schaffen. Zusammengefasst: Eine postmigrantische Gesellschaft muss die Defizite im Bildungsbereich rasch beheben, um nicht noch mehr Jugendlichen die Zukunft zu rauben, indem ihre Fähigkeiten unentdeckt bleiben.

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Maria Lodjn

Schulgschichtn

Die meisten Eltern unserer SchülerInnen arbeiten im Niedriglohnsektor. Daraus ergibt sich der logische Wunsch, dass es die eigenen Kinder einmal besser haben sollen. Oft aber steht diesem Wunsch die Tatsache entgegen, dass die Eltern ihre Kinder nicht in einem solchen Ausmaß fördern und unterstützen können, wie es das österreichische Schulsystem verlangt und erwartet.

Die Herausforderungen sind unterschiedlich, aber eines ist klar: Das Schulsystem war bisher blind für die Rahmenbedingungen, zum Beispiel für die unterschiedlichen sozialen Herausforderungen, denen sich Eltern und Kinder stellen müssen. Beachtung fanden hingegen die Auswirkungen dieser Rahmenbedingungen. So beklagten KollegInnen immer wieder die mangelnde Mitarbeit der Eltern, ohne zu hinterfragen, warum das so war. Zum Glück werden jene KollegInnen mehr, die dazu bereit sind, sich mit den Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Dank des verstärkten Einsatzes von SchulsozialarbeiterInnen und PsychagogInnen erschließen sich uns diese immer besser. Das ist ein wesentlicher Schritt, um Teilhabe und Integration zu ermöglichen. Die Erkenntnis, dass Lernen nur dann gelingen kann, wenn Grundbedürfnisse wie zum Beispiel Sicherheit und Geborgenheit erfüllt sind, nimmt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen immer mehr Raum ein. Dennoch gibt es viel zu tun: Das Schulsystem muss auf längere Sicht neu gedacht werden. Es muss Schluss damit sein, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass sie mit Fleiß alles erreichen können – eine Haltung, die für unsere SchülerInnen kaum nachvollziehbar ist, weil sie miterleben, dass ihre Eltern trotz harter Arbeit immer noch am Rand der Gesellschaft stehen. Chancengerechtigkeit zu gewährleisten, muss der oberste Anspruch des Bildungssystems werden. Wir und unsere SchülerInnen brauchen kleinere Klassen, Lernen im Sinne des 21. Jahrhunderts und einen Ausbau des Bereichs Schulsozialarbeit. In diesem Zusammenhang müssen auch die Eltern ins Boot geholt werden. Sie dürfen mit dem Wunsch, ihre Kinder zu unterstützen, nicht alleine gelassen werden. So findet das Modell der Elternschulen europaweit starken Zuspruch. Denn die Eltern haben längst begriffen, dass Klassenaufstieg und Bildungsstatus in einem direkten Zusammenhang stehen.

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Mag.a phil. Maryam Laura Moazedi

Uni Graz

Migration ist Tatbestand. In der Ausbildung angehender Lehrkräfte oder in der Fort- und Weiterbildung derzeitiger Lehrender wird dieser Umstand dennoch wenig systematisch und flächendeckend reflektiert. Ähnliches gilt für Schulen und die Anpassung ihrer Kulturen an aktuelle Notwendigkeiten. Wird Migration im Kontext von Schule thematisiert, passiert das meist mit Akzentuierung auf Problemfelder und im Konnex einer Ablehnung, Defizitorientierung, kollektiven Abwertung und eines abschätzigen Diskurses. Sie gilt als Devianz von der angenommenen Homogenität der nationalstaatlich definierten Gesellschaft. Kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit werden weniger als bereichernd, sondern vielmehr als störend gesehen.

Sogenannte „Migrationshintergründe“ – gerne als homogenisierender Faktor angestrengt – werden in aller Regel weder didaktisch-methodisch noch institutionell-organisatorisch angemessen berücksichtigt. Der Umgang mit migrationsbedingter Diversität hat in der Folge eine verunsichernde Wirkung auf die Lehrkräfte. Die Curricula für Lehramtsstudierende zeigen eine hohe Varianz, Angebote sind fakultativ, Lehrkräfte finden sich nicht ausreichend vorbereitet und attestieren sich selbst einen Fortbildungsbedarf. Sie bewegen sich in einem ambivalenten Spannungsfeld zwischen einem großen Spiel- und Aktionsraum mit geringer Hilfestellung und den ihren Handlungsfreiraum einschränkenden, mitunter einander widersprechenden Erwartungen der Schule, der Eltern und der Gesellschaft als Gesamtes. Schulen wiederum sollen den Balanceakt schaffen, im Sinne der Mehrheitskultur zu bilden und gleichzeitig kulturoffen zu sein. Sie werden dabei stark vom politischen Diskurs beeinflusst. Etwa die Weigerung, sich als Einwanderungsland zu sehen, setzt sich an den Schulen fort. Anders betrachtet ermöglicht die Erkenntnis, ein Einwanderungsland zu sein, eine konstruktive Integrationsdebatte bar jedweder Romantik, die tatsächliche Problemstellungen, aber auch Aspekte wie Differenzierung, Vorurteile und Bildungsmobilität einschließt.

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Mag.a Irina Koljonen

Europäisch-Russischer Verein für Internationale Kooperation

Integration durch Bildung ist eine zentrale Form der Sozialisationsgestaltung. Die Entwicklung der Bildung ist durch alle Faktoren der Existenz einer Gesellschaft bedingt: wirtschaftliche, technologische, soziale, kulturelle etc. Einer der wichtigsten Hauptfaktoren ist die kulturelle Bildung. Heute braucht es eine neue Bildungsphilosophie, die für die neuen, globalen Probleme angemessen ist. Die Rolle der Bildung besteht aus drei Hauptfunktionen:

– Ökonomisch: modernes, effektives Wissen zu vermitteln, um die Anwendung in der Praxis zu ermöglichen

– Sozial: soziale Kompetenz zu vermitteln, zu lehren, mit Menschen zu interagieren, die Verwirklichung von Toleranz und dem Streben nach Selbstentfaltung, die Mobilisierung persönlicher Ressourcen und die Entwicklung einer positiven Lebenseinstellung

– Kulturell: kulturelle Werte zu vermittelt, um die Persönlichkeit zu erziehen und Kreativität zu offenbaren

In jeder Gesellschaft gilt es, vorbei an Gewalt- und Konfliktpotenzial einen Weg zum Frieden zu finden. Die Friedensausbildung spielt dabei eine wichtige Rolle.

Doch die Kultur des Friedens und dass dieses Thema eines der wichtigsten ist, muss man erst einmal lernen – und zwar nicht nur Migranten, sondern alle Mitglieder der Gesellschaft, alle gesellschaftlichen und staatspolitischen Strukturen, trotz der Erziehung innerhalb der Familie und der allgemeinen Bildung.

Sehr wichtig ist dabei die Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu Hause, aber auch in der Schule und in den Universitäten, besonders in politikorientierten Studienrichtungen. Anfangen muss man damit aber schon im Kindergarten.

Die Menschen sollten lernen, miteinander umzugehen, versuchen, andere unabhängig von ihrer Ausbildung und Herkunft zu verstehen, lernen, mit Konflikten umzugehen, ein Team zu bilden, und miteinander zu kommunizieren. Sie sollten lernen, anderen zu vertrauen, sie nicht gegenseitig im Stich zu lassen, positiv zu denken und für alle Leistungen dankbar zu sein. Das alles kann man lernen – und wenn möglich sollte das früh geschehen, damit man später innerhalb der Familie, sozial und beruflich auf der ganzen Welt erfolgreich kommunizieren kann.

Möglich wird das zum Beispiel durch das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ASPR).

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Bernhard Auinger (SPÖ)

Bürgermeister-Stellvertreter der Stadt Salzburg

Wie sieht Bildung in einer postmigrantischen Gesellschaft aus? Aktuell ist unser Bildungssystem ganz stark auf die Mitwirkung der Eltern angewiesen. Kinder aus Familien, in denen es – aus welchen Gründen auch immer – zu Hause wenig bis gar keine schulische Unterstützung gibt und/oder wenig Platz zum Lernen vorhanden ist, sind klar benachteiligt. Ein flächendeckender Ausbau von schulischen Ganztagesformen ist daher unumgänglich. Die Kinderbetreuungsangebote für unter Sechsjährige wurden zwar bundesweit stark ausgebaut, aber hier sind weitere Angebote dringend notwendig, da die Elementarpädagogik speziell für die Sprachförderung enorm wichtig ist. Es braucht eine Ausbildungsoffensive, die einen ganz starken Fokus auf Diversität legt. Mehr Männer und generell mehr Personen mit Migrationshintergrund in diesem Beruf sind für den Integrationsprozess ein absolutes Muss.

 

Mit welchen Herausforderungen sehen sich österreichische Bildungsinstitutionen in Bezug auf Migration, Integration und Teilhabe konfrontiert? Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich die Einbindung der Eltern u.a. wegen der Sprachbarrieren oft als schwierig herausstellt. Gerade die Vermittlung des hohen Stellenwerts von Bildung ist eine herausfordernde, aber enorm wichtige Aufgabe aller Bildungseinrichtungen – von der Kleinkindgruppe bis zum Gymnasium. Kleinkindgruppen, Kindergärten und Volksschulen kämpfen zudem mit einer extrem angespannten Personalsituation. Der Bedarf an PädagogInnen und ElementarpädagogInnen, speziell für die inklusive Entwicklungsbegleitung, ist in den vergangenen Jahren massiv gewachsen und kann mittel- und langfristig nur mit einer gezielten Ausbildungsoffensive entschärft werden.

Wie gelingen Integration und Teilhabe durch Bildung? Integration durch Bildung kann meiner Ansicht nach nur dann gelingen, wenn diese für alle leistbar und zugänglich ist. Für Kinder und Eltern mit Migrationshintergrund ist es ganz entscheidend, dass es auch beim pädagogischen Personal mehr AnsprechpartnerInnen mit Migrationshintergrund gibt. Diese sind als positive Vorbilder und Vertrauenspersonen enorm wichtig für die Kinder. In der Stadt Salzburg setzen wir im eigenen Kompetenzbereich der Elementarpädagogik bewusst auf ein verstärkt vielfältiges Team. Die Erfahrung damit zeigt uns, dass dadurch die Akzeptanz und die Einbindung der Eltern verbessert werden. Missverständnisse und Konflikte aufgrund sprachlicher oder kultureller Barrieren konnten dadurch entschärft bzw. verringert werden.

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Eva Schobesberger (Die Grünen)

Stadträtin für Frauen, Umwelt, Naturschutz und Bildung, Linz

Um eine gerechtere Gesellschaft für alle überhaupt zu ermöglichen, ist Bildungsgerechtigkeit eine Grundvoraussetzung. Damit unser Bildungssystem diesen großen Auftrag auch nur ansatzweise erfüllen kann, müssen wir vieles besser machen. Am Anfang stünde dafür aus meiner Sicht zunächst ein breites gesellschaftliches und politisches „Anerkennen von dem, was ist“:

  1. Österreich ist und bleibt ein Einwanderungsland und unser gesamtes Bildungssystem muss diesem Faktum endlich Rechnung tragen.
  2. Bildung wird in Österreich nach wie vor vererbt. Viele Eltern – egal, welcher Herkunft – können aber aus verschiedenen Gründen ihre Kinder nicht so unterstützen, wie sie es möchten und wie es unser derzeitiges Schulsystem nach wie vor verlagt. Um Bildungsgerechtigkeit zu erreichen, muss unser Bildungssystem also so gestaltet werden, dass auch Kinder ohne elterliche Unterstützung tatsächliche Chancen haben.
  • Die Elementarpädagogik muss umfassend gestärkt werden. Krabbelstuben und Kindergärten sind nicht nur Betreuungseinrichtungen, sondern auch unsere ersten Bildungseinrichtungen. Diesen Stellenwert müssen sie in der Gesellschaft einnehmen – auch was die Ausbildung und Bezahlung der PädagogInnen sowie den Support durch Kindergartensozialarbeit oder FreizeitpädagogInnen
  • Lehrende haben heute in ihrem Alltag mit vielen komplexen gesellschaftlichen Realitäten zu tun. Der Umgang damit erfordert auch neue Schwerpunkte in der Ausbildung. Zudem müssen wir es schaffen, endlich mehr Geld in die Bildung zu investieren und zum Beispiel mit mehr PsychologInnen und SozialarbeiterInnen auch das Support-System an den Schulen auszubauen.
  • Um das Zusammenleben in der Gesellschaft und das langfristige Funktionieren unserer Demokratie zu sichern, müssen im Bildungssystem die politische und die Menschenrechtsbildung gestärkt werden.

Diese Liste ließe sich noch um viele wichtige Punkte erweitern. Aber es wäre im Sinne eines funktionierenden Bildungssystems in einer postmigrantischen Gesellschafft aus meiner Sicht wichtig, hier anzusetzen.

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Hannah Wahl

Freie Journalistin und Historikerin

Das Recht auf Bildung ist nicht grundlos ein Menschenrecht. Gute Bildung erhöht nicht nur unsere individuellen Chancen auf ein ökonomisch abgesichertes und sozial erfülltes Leben, sie ist auch der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe, Selbstbestimmung und Inklusion. Genau deswegen muss sich einiges ändern. Denn nach wie vor erhalten Kinder aus migrantischen Familien nicht die gleichen Chancen durch unsere Bildungssystem wie jene aus nicht-migrantischen Familien. Besonders stark davon sind Kinder mit Behinderungen und Kinder aus der Arbeiterklasse betroffen. Um unserer postmigrantischen Gesellschaft gerecht zu werden, ist es zwingend notwendig, ExpertInnen mit Migrationsgeschichte in die Bildungspolitik und die Gestaltung des Schul- und Lehrplansystems einzubinden und gemeinsames Lernen in der Schule zu realisieren. Nur so können wir von gelungener Bildung und einem wichtigen Schritt zu mehr Chancengleichheit in unserer postmigrantischen Gesellschaft sprechen.

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Noomi Anyanwu

Black Voices Volksbegehren

Als Anti-Rassismus-Volksbegehren haben wir einen inoffiziellen Leitspruch in Bezug auf unser aktuelles Bildungssystem: Wenn wir schon in der Schule ansetzen und dort lernen, was es bedeutet, Zivilcourage zu zeigen und anti-rassistisch zu sein, werden wir dieses Problem später im Leben nicht mehr haben. Das klingt vielleicht utopisch, ist aber nicht unmöglich.

Schon jetzt müssen wir vom Kindergarten bis zur Hochschule einen rassismuskritischen Umgang erlernen. Und wo könnte man da besser ansetzen als bei Österreich selbst? In Unterrichtsprinzipien wie „Post-Kolonialismus“ soll behandelt werden, was Österreich mit dem Kolonialismus zu tun hat und wie sich das noch heute auf unser tägliches Tun und Handeln und unsere Institutionen auswirkt. Sensibilisierungsworkshops für SchülerInnen und auch Lehrpersonen sollen uns ein Stück näher an die anfänglich erwähnte Utopie bringen. Und beim Stichwort „Schulbücher“ müssen wir uns nicht nur anschauen, wie Inhalte transportiert und wie Menschengruppen dargestellt werden, sondern auch, von wem diese Inhalte bereitgestellt werden. Bildungsvermittlung geht nämlich auch von und mit People of Color und MigrantInnen – und dafür ist es höchste Zeit!

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DDr. Stefan Unterberger

Wiener Lerntafel

Was bedeutet „postmigrantisch“? Bei einer Begriffsrecherche finden sich teilweise widersprüchliche Formulierungen, was genau bzw. welche Kriterien eine Gesellschaft zu einer postmigrantischen Gesellschaft machen.

Das primäre Kriterium ist einerseits die Vielfalt der gesprochenen Sprachen in den Familien und in einer Gesellschaft, andererseits das Vorhandensein von Sprach-Communitys, in denen die Herkunftskulturen sowie die sozialisierten Bräuche und Lebensformen zur Entwicklung und Stabilisierung ebendieser Communitys beitragen. Zusätzlich dazu findet der regelmäßige Austausch primär zwischen den Mitgliedern der Community und weniger intensiv mit der Mehrheitsgesellschaft statt.

Was bedeutet Bildung heute bzw. was soll Bildung zukünftig abbilden?

Dazu gibt es viele Antworten von Philosophen, Ökonomen und WissenschaftlerInnen. Erhöhen diese vielen klugen Worte den Erkenntnisstand? Nein. Einen zentralen Bildungsbegriff, der das Heute und die Zukunft abdecken kann, gibt es nicht – und wenn doch, dann zeichnet sich dieser Begriff aufgrund der immer wieder neu entstehenden, gesellschaftlich ausgelösten Anpassungsherausforderungen durch eine kurze Lebensdauer aus.

Aus meinen Erfahrungen, meinem Wissensstand und meinen Gedanken: Bildungsvermittlung ist eine gesellschaftliche Bringschuld. Will sie für die TeilnehmerInnen der Gesellschaft erfolgreich sein, benötigt sie ein Gegenüber. Dieses Gegenüber heißt „Bildungsaneignung“ und ist die individuelle Holschuld der TeilnehmerInnen im Bildungsprozess. Nur wenn sich beide Seiten konsequent, spontan, lernend und aus freiem Willen an diesem Prozess beteiligen, kann von einer gebildeten Gesellschaft gesprochen werden. Nur wenn die BildungsvermittlerInnen und BildungsaneignerInnen aktiv beteiligt sind, konsequent ihre Rollen tauschen und das auch sozial anerkannt ist, werden wir künftig mehr gelingende Bildung, insbesondere in der postmigrantischen Gesellschaft, erleben.

Da die individuellen und gesellschaftlichen Unterstützungsleistungen einem permanenten Anpassungsdruck unterliegen – sowohl heute als auch in Zukunft –, hängt der erwünschte Erfolg der umzusetzenden Bildungsmaßnahmen hauptsächlich von den am Prozess beteiligten Menschen ab.

Das Gelingen von Bildung ist in der postmigrantischen Gesellschaft keine Methoden- oder Machtfrage, sondern hängt von der Qualität und dem Reifegrad der individuellen und gesellschaftlichen Beteiligungsleistungen ab.

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Walter Emberger

Gründer von Teach For Austria

Wie sieht Bildung in einer Gesellschaft aus, die durch die Erfahrungen der Migration geprägt ist?

Ich denke, sie sieht so aus, wie Bildung aussehen sollte – unabhängig von Migration. Das Sustainable Development Goal 4, zu dessen Erreichung bis zum Jahr 2030 sich die Staatengemeinschaft – und damit wir alle – verpflichtet hat, drückt es am besten aus: „Hochwertige Bildung – Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern.“ „Für alle“: Hier bedarf es keiner Extranennung von Migration, so wie es keiner Extranennung des technischen Fortschritts bedarf. Migration ist ebenso wie der technische Fortschritt ein Fakt. Gute Bildung berücksichtigt das und passt sich an, nutzt die Vorteile von beidem (zum Beispiel die Bereicherung der Gesellschaft durch Diversität bzw. neue technische Möglichkeiten) und adressiert die Gefahren (zum Beispiel Fremdenfeindlichkeit bzw. Technikabhängigkeit).

Mit welchen Herausforderungen sehen sich österreichische Bildungsinstitutionen in Bezug auf Migration, Integration und Teilhabe konfrontiert?

Die Herausforderung ist eine Wende im Denken: Migration darf nicht mehr als Nachteil und Gefahr gesehen werden, sondern muss als Vorteil begriffen werden – mit einem Potenzial, das genutzt werden kann und muss, will man am Arbeitsmarkt die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften befriedigen.

Wie gelingen Integration und Teilhabe durch Bildung?

Die Teilhabe an der Gesellschaft ist ein Ergebnis gelungener Integration – und für ein Gelingen von Integration ist Bildung wesentlich, wobei innerhalb der Bildung wiederum der Spracherwerb ganz oben steht. Neben der Bildung der zu Integrierenden sollte man aber nicht auf die Bildung all jener vergessen, von deren Toleranz und Aufnahmebereitschaft das Gelingen von Integration ebenso sehr abhängt. Ein weiterer Faktor für das Gelingen des Ganzen sind jene, die Bildung vermitteln: die Lehrkräfte. Angesichts der Wichtigkeit dieses Themas sind die Lehrkräfte die Spitzenkräfte des Landes – und sie müssen auch wie Spitzenkräfte ausgesucht, ausgebildet, behandelt und eingesetzt werden.

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Mag.a Dr.in Kimbie Humer-Vogl

Abgeordnete zum Salzburger Landtag, Klubobfrau Die Grünen Salzburg

Österreich ist ein Einwanderungsland. Zuwanderinnen und Zuwanderer prägen seit jeher die kulturelle Identität und die Gesellschaft Österreichs. Damit Integration gelingt, ist Bildung in einer postmigrantischen Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Neben Sprachkursen und Bildungsangeboten für Zuwanderinnen und Zuwanderer sind spezielle Angebote, die junge Menschen auf ihrem Bildungsweg unterstützen, essenziell. Es braucht neben Bildungsangeboten aber auch Orte zum Austausch und Kennenlernen. Denn neben dem Engagement von Zuwanderinnen und Zuwandern ist auch die Willkommensgesellschaft gefordert. Integration findet immerhin zu einem großen Teil vor Ort statt – zwischen den Menschen, in Vereinen, bei der Arbeit, in der Nachbarschaft. Diese Orte der Begegnung sind wichtig, um Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Die Zuwanderungsdebatten waren in den vergangenen Jahren in Österreich häufig negativ geprägt. Zuwanderung wird von Populistinnen und Populisten sofort benutzt, um eine ganze Volksgruppe zu stigmatisieren. Dieses Narrativ gilt es, zu durchbrechen. Migration bedeutet immer auch wertvolle Vielfalt, auch wenn es Probleme gibt, über die offen gesprochen werden muss. Die alten Römer sahen Integration übrigens sehr positiv: Das lateinische Wort „integrare“ bedeutet so viel wie „etwas erneuern, ergänzen oder vervollständigen“. Alle Menschen, die in einem Land leben, prägen mit ihren individuellen Lebensgeschichten dessen Gesellschaft. Das gilt auch für Österreich als postmigrantische Gesellschaft. Und auch wenn es in Österreich Tendenzen zur Ausgrenzung gibt, so habe ich den Eindruck, dass der auf Integration abzielende Teil der Bevölkerung, der Migrantinnen und Migranten mit menschlicher Toleranz, Offenheit und Fairness begegnet, überwiegt.

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MR Mag. Michael Girardi

Stellvertretender Sektionsleiter und Abteilungsleiter in Vertretung des Bundeskanzleramtes sowie der Bundesministerin für Familie, Frauen, Jugend und Integration

Deutschkenntnisse stellen den Schlüssel zu gelungener Integration dar und ermöglichen den Einstieg in individuelle Bildungskarrieren. Das Bundeskanzleramt setzt hier bereits in der frühkindlichen Bildung an: So stellen der hohe Anteil von Schülerinnen und Schülern mit nicht-deutscher Umgangssprache und die Bildungsferne vieler zugewanderter Eltern große Herausforderungen dar, insbesondere in den Ballungszentren. Durch die Pandemie ist die Gefahr gestiegen, dass sich Bildungsrückstände von Kindern mit Migrationshintergrund weiter vergrößern.

Mit einer Reihe von Maßnahmen, insbesondere den Sommerschulen, wird hier gegengesteuert. Gleichzeitig gilt es auch, einen vermehrten Fokus auf die Eltern zu richten, um sie stärker in die Pflicht zu nehmen, ihre Kinder in deren Bildungslaufbahn in Österreich zu unterstützen.

Nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“ braucht es für erfolgreiche Integration einerseits staatliche Angebote, andererseits ist das eigenverantwortliche Engagement aller Migrantinnen und Migranten, ihre Chancen in Österreich wahrzunehmen und gesellschaftliche Normen und Werte zu verinnerlichen, für den Erfolg entscheidend.

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MMag. Stefan Weghuber

Z – Vielfalt, Dialog, Bildung

Wie sieht Bildung in einer postmigrantischen Gesellschaft aus? Zentral ist hier der Diversitätsansatz: Am Lernort Schule ist es wichtig, dass sich alle Schulkinder wiederfinden und verschiedene Normalitätsvorstellungen nebeneinander gleichwertig existieren können. Dazu benötigt es vorurteilsbewusstes Lehrpersonal, das Diskriminierung erkennt und anhand vielfältiger Identitätsmarker das Gemeinsame abseits von Herkunft und kulturellen Prägungen vor das Trennende stellt. Die Gesellschaft und auch die Bildungsmaterialien sollen sowohl Spiegel als auch Tür für die Kinder sein, wo sie sich einerseits wiederfinden und ihnen andererseits auch neue Identifikationsmöglichkeiten aufgezeigt werden. 

Mit welchen Herausforderungen sehen sich österreichische Bildungsinstitutionen in Bezug auf Migration, Integration und Teilhabe konfrontiert? In einer diversen Gesellschaft ist es wichtig, am Ort Schule das Thema Integration nicht anhand symbolischer Kämpfe (Kopftuch, Schulkreuz etc.) zu verhandeln. Dahinter verbergen sich starre Vorstellungen von Kultur als in sich abgeschlossene Systeme, die unweigerlich in Konflikten aufeinandertreffen. Ein transkulturelles Verständnis berücksichtigt auch die vielfältigen Lebenswelten von Kindern, deren Identität nicht auf ihre Herkunft reduziert wird. Abseits von Kulturalisierungen oder inszenierten Identitäten sollen die Kinder selbst bestimmen dürfen, welche Zugehörigkeiten für sie wichtig sind. Das bedeutet, dass wir als Gesellschaft Integration und Teilhabe für alle Menschen unabhängig von ihrer soziokulturellen Herkunft gleich begreifen. 

Wie gelingen Integration und Teilhabe durch Bildung? Integration und Teilhabe durch Bildung können nur dann gelingen, wenn wir den Bedürfnissen aller Kinder gerecht werden und die Schule nicht der einzige Ort des sozialen Austausches bleibt. Deutsch ist einer der wesentlichen Faktoren für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, aber auch am politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Dabei ist es wichtig, dass Kinder positive Erfahrungen auf Deutsch machen und die Sprache nicht als Defizit oder Werkzeug zur Ausgrenzung wahrnehmen. Zudem braucht es eine wertschätzende und fördernde Haltung bezüglich Mehrsprachigkeit und eine bessere Sichtbarkeit von Diversität im Lehrpersonal, im öffentlichen und politischen Leben sowie in den Medien. 

punzenberger

Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Barbara Herzog-Punzenberger

Universität Innsbruck, Institut für Erziehungswissenschaft

Für die Schule ist es in der Corona-Pandemie besonders wichtig, alle Unterstützungssysteme technischer und personeller Art schnell und flexibel einzusetzen. Leider ist oft unklar, warum existierende Angebote oder Instrumente an den Schulstandorten nicht bekannt sind, von den Lehrpersonen nicht genutzt oder vielleicht von der Bildungsverwaltung gar nicht verbreitet werden. Hier zwei Beispiele dazu: Viele Lehrpersonen erleben Sprachprobleme als große Hindernisse, etwa in der Kommunikation mit zugewanderten Eltern. Um Lehrpersonen zu unterstützen, wurde von der EU im Rahmen des Programms REACT-EU kostenloses Video- und Telefondolmetschen für Volks- und Mittelschulen in 34 Sprachen eingerichtet. Auch die in Österreich häufigsten Sprachen (BKS, Türkisch, Albanisch, Polnisch, Rumänisch, Ungarisch, Arabisch, Dari, Farsi und Kurdisch) werden von Montag bis Freitag zwischen 7 und 19 Uhr mit einer maximalen Wartezeit von fünf Minuten, also ad hoc, angeboten. Seltenere Sprachen sind nach Terminvereinbarung verfügbar. Das ist gerade für jene Schulstandorte relevant, denen kein digitales Kommunikationstool zur Verfügung steht, das automatisch übersetzt. 

Das zweite Beispiel handelt von der Lern-App Binogi, die das Lernen in fast allen Schulfächern von der fünften bis zur zehnten Schulstufe für SchülerInnen mit Fluchthintergrund, die Arabisch, Dari, Somali oder Tigrinya sprechen, wesentlich erleichtert und damit das Lehrpersonal entlastet. Die Lern-App ist auch auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Schwedisch verfügbar – nicht zuletzt, weil sie ursprünglich in Schweden entwickelt wurde. Während sie in Deutschland bereits seit Jahren von einer großen Zahl an Lehrpersonen und SchülerInnen genutzt wird und sogar über QR-Codes mit Schulbüchern vernetzt ist, wartet man in Österreich noch immer darauf, dass sich das Bildungsministerium dazu entschließt, diese kostengünstige Lernhilfe für jene SchülerInnen, die am meisten Unterstützung brauchen, anzuschaffen. Gerade in Zeiten des Lockdowns sollten solche Angebote schnell und unbürokratisch eingeführt und entsprechend beworben werden. Vielleicht nutzt der neue Bildungsminister die Chance, im Bereich der Mehrsprachigkeit Akzente zu setzen und SchülerInnen sowie Lehrpersonen gemeinsam mit den Bildungsdirektionen zu unterstützen. 

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Mag. Martin Wurzenrainer,

fachlicher Geschäftsführer des Integrationshauses

Mehrsprachigkeit und Diversität sind im Bildungsbereich, auf dem Arbeitsmarkt sowie in anderen Lebensbereichen eine Bereicherung. Als solche sollen sie auch verstanden und genutzt werden, da sie aus einer postmigrantischen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken sind. Umso mehr braucht es gerade in Österreich ein inklusives und integratives Bildungssystem, das unterschiedliche Bildungshintergründe von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt. Mehrsprachigkeit als Ressource anzuerkennen, soll daher sowohl in der Schulbildung, im beruflichen Aus- und Weiterbildungsbereich als auch in der Erwachsenenbildung Einzug halten. Das ist unsere große Chance für die Entwicklung einer pluralen, demokratischen Gesellschaft.