Eröffnungsrede Dino Schosche: „Zukunft gelingt gemeinsam!“

ERÖFFNUNGSREDE DINO SCHOSCHE (INITIATOR)

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
ob mit oder ohne sogenannten Migrationshintergrund,

bevor ich kurz erkläre, worum es sich beim Integrationsgipfel handelt, sage ich Ihnen, worum es nicht geht. Es geht nicht um links, Mitte oder rechts. Es geht nicht um Regierung oder Opposition. Und es geht nicht um Strafen, Drohungen oder Kürzungen.

Es geht um Menschen.

Aber es geht nicht nur um knapp zwei Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger mit internationaler Geschichte. Es geht um uns alle. Reale Menschen mit realen Problemen und Sorgen. Um alle 8,8 Millionen Menschen in diesem Land, die die Themen Migration, Integration und Teilhabe betreffen, weil diese Gegenwarts- und Zukunftsthemen dieses Landes sind und weil wir alle 8,8 Millionen nur eine, nämlich eine gemeinsame Zukunft haben.

Und es geht nicht um mehrere Gesellschaften, sondern um die eine Gesellschaft, zu der wir alle gehören, oder – ganz pragmatisch gesagt – um die einzige Gesellschaft, die wir haben. Und es hat wenig Sinn, weiterhin darüber zu diskutieren, ob diese eine Gesellschaft vielfältig ist oder nicht und wozu sie gut oder schlecht ist. Wesentlich mehr Sinn macht es, gemeinsam und auf Augenhöhe darüber zu diskutieren, wie wir alle mit der Vielfalt unserer Gesellschaft richtig umgehen. Denn mit den Scheindebatten darüber, ob Österreich ein Einwanderungsland ist oder ob der Islam zu Österreich gehört oder nicht, kann man vielleicht politisch punkten, aber sie bringen uns alle keinen Millimeter vorwärts.


Meine sehr geehrten Damen und Herren,

es mögen mir die hier anwesenden Politikerinnen und Politiker verzeihen (übrigens bin ich sehr dankbar, dass Sie heute mit uns hier sind), aber die Politik war in den letzten Jahren, wenn nicht in den letzten Jahrzehnten, leider kein besonders verlässlicher Partner, wenn es darum ging, sich ehrlich und ohne politischen Hintergrundgedanken für die Interessen aller in Österreich lebenden Menschen einzusetzen. Das könnte vielleicht damit zusammenhängen, dass ich sowie weitere 1,2 Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes nicht wählen dürfen und somit für die politischen Parteien nicht gerade von Nutzen sind. Denn die müssen Wahlen schlagen.

Das mag für einige Parteien gut sein, für andere schlecht, aber für uns 1,2 Millionen Menschen, die in diesem Land leben, arbeiten und Steuern zahlen, ist das nur schlecht – weil wir auf die Hetze und Menschenverachtung leider nicht mit dem Gang zur Urne antworten können.

Hand aufs Herz, mit dem Thema Integration kann man sich sehr gut politisch positionieren, insbesondere durch Populismus. Mit Sachlichkeit und Pragmatismus gelingt das weniger. Das ist eine traurige Tatsache, die das Zusammenleben in Österreich oft erschwert und das gesellschaftliche Klima immer wieder vergiftet.

Liebe Freundinnen und Freunde,

die einen reden schön über Migrantinnen und Migranten, um mit ihrer Weltoffenheit bei den eigenen Wählerinnen und Wählern zu punkten. Die anderen wiederum reden schlecht über Migrantinnen und Migranten, um mit ihrer Ewiggestrigkeit auch bei den eigenen Wählerinnen und Wählern zu punkten. Mit Migrantinnen und Migranten redet aber kaum jemand.

Natürlich gibt es Einzelkämpfer quer durch fast alle österreichischen Parteien, die sich ehrlich und ohne politisches Kalkül für die Vielfalt einsetzen. Viele von ihnen sind heute unter uns und ich nutze die Gelegenheit, ihnen für ihr Engagement persönlich zu danken, nicht nur als Ausländer oder Migrant, sondern auch als Familienvater, Unternehmer, Arbeitgeber und Steuerzahler.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft, und das ist gut so. Dass diese Gesellschaft gut funktioniert, muss nicht unbedingt politisch bestätigt werden. Dafür sprechen die Statistiken und Studien. Das beste Beispiel dafür ist unsere Hauptstadt. Würde die Integration nicht gelingen, wäre Wien mit fast 60 Prozent Migrantinnen und Migranten mit Sicherheit nicht seit Jahren schon die Stadt mit der besten Lebensqualität weltweit.

Und auch ganz Österreich ist ein gutes Beispiel. Denn Österreich in seiner Buntheit gehört auch zu den sichersten, reichsten und erfolgreichsten Ländern der Welt.

Dass die Integration in Österreich sehr gut funktioniert, ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt in unserem Land unzählige Initiativen, Organisationen und Menschen, die sich täglich für die Vielfalt und den Zusammenhalt der Gesellschaft einsetzen. Wir haben heute sehr viele Vertreterinnen und Vertreter dieser Organisationen unter uns. Nicht nur als Initiator des Integrationsgipfels, sondern auch als ehemaliger Flüchtling möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen von ganzen Herzen für Ihre großartige Arbeit zu danken und alle hier Anwesenden um einen großen Applaus zu bitten.

Ja, die Integration funktioniert immer besser, was aber leider immer noch sehr schlecht funktioniert, ist die Teilhabe. Für ein gelingendes Miteinander bedarf es aber mehr als eine Kultur der Rücksichtnahme und des Respekts.

Wir sollten die Vielfalt nicht nur predigen, sondern auch in unseren Institutionen, in unseren Unternehmen, in unseren Organisationen leben. Das bezieht sich auf Rathäuser, Parteien und das Parlament genauso wie auf MigrantInnenorganisationen und migrantische Unternehmen.

Wir alle müssen lernen, mit der Buntheit unserer Gesellschaft richtig umzugehen. Die einen müssen erkennen, dass der Geburtsort kein Diplom ist, die anderen wiederum, dass man nicht 50 Wochen lang in einem Land leben kann, um dann für zwei Wochen „nach Hause“ zu fahren. Natürlich haben sehr viele von uns Verwandte in ihren Heimatländern und natürlich wünsche ich mir auch, dass es jeder und jedem in Bosnien gut geht. Aber meine Gegenwart und meine Zukunft sind hier.

Es war nicht meine Entscheidung, in den 1990er-Jahren als Flüchtling nach Deutschland zu kommen, aber es war meine Entscheidung, in Österreich eine Familie und ein Unternehmen zu gründen und hier zu bleiben. Denn ich bin, wie so viele unter uns heute, aus dem Land meiner Vorfahren in das Land meiner Nachfahren gekommen. Ich finde es sehr schade, dass manche zu viel Zeit und Energie in die Politik ihrer Heimatländer investieren, und lade sie gleichzeitig dazu ein, sich gemeinsam mit uns um unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder zu kümmern. Denn wir alle sind Österreich. Und die Zukunft dieses Landes betrifft uns alle.

Wir dürfen nicht zulassen, dass der Begriff „Heimat“ als Ausgrenzungsinstrument missbraucht wird. Denn Österreich ist unser aller Heimat. Für manche von uns eine zweite oder Wahlheimat, aber die einzige Heimat unserer Kinder.

Deswegen ist die gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten von essenzieller Bedeutung für die Integration.

Auch deswegen weil wir mit unserem Engagement Vorbilder schaffen, für Menschen, die jetzt oder später nach Österreich kommen.

Weil Migrantinnen und Migranten, die sich für ihre eigenen Interessen einsetzen und ihre Partizipationsrechte wahrnehmen, Ausdruck eines demokratischen Gesellschaftssystems sind, das sich auf die aktive Mitgestaltung aller Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer Herkunft stützt und niemanden ausgrenzt.

Zu dieser Teilhabe muss man einerseits die Menschen motivieren und andererseits muss man sie ermöglichen und unterstützen.

Das muss eine neue Aufgabe auf allen institutionellen Ebenen werden und eine Selbstverständlichkeit in einer Einwanderungsgesellschaft sein.

Leider sind aber unsere Institutionen noch weit davon entfernt, ein Spiegelbild der Gesellschaft zu sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich glaube, dass selten ein Binnen-Ausländer an einem historisch so wichtigen Ort die Gelegenheit bekommt, eine politische Rede zu halten. Darum bitte ich Sie jetzt schon um Verzeihung, falls diese länger als fünf Minuten dauern sollte.

Ja, wir müssen oder sollen weniger übereinander, sondern mehr miteinander reden. Natürlich sollten wir über Werte reden, aber das hat nur dann Sinn, wenn wir über gemeinsame Werte reden und wenn wir diese Werte auch gemeinsam vorleben. Natürlich dürfen wir über kriminelle Ausländer reden, aber wir sollten gleichzeitig auch über diejenigen sprechen, die die Berichte über kriminelle Ausländer zum Anlass dafür nehmen, gegen unschuldige Menschen zu hetzen.

Wir sollten nicht nur die Anpassung verlangen, sondern die Atmosphäre schaffen, in der die Anpassung selbstverständlich ist. Dazu brauchen wir eine Politik, die sich klar zu Vielfalt, Mehrsprachigkeit und Multikulturalität bekennt und sich um die Gleichheit aller in Österreich lebenden Menschen kümmert.

Und wenn Sie mir einen Vergleich gestatten: Zu denken, dass man die Probleme in einer Ehe löst, indem man mit der Partnerin oder dem Partner nicht redet oder – noch schlimmer – nur schlecht über die Partnerin, den Partner redet, ist keine Lösung, sondern wahre Realitätsverweigerung. Deshalb ist es für die Zukunft unseres Landes wichtig und richtig, miteinander einen Dialog auf Augenhöhe zu führen. Denn „Wenn wir entdecken wieviel Gemeinsames uns verbindet, wird nebensächlich, was uns trennt.“

Mit dem Integrationsgipfel stellen wir eine Plattform zur Verfügung, um dieses Miteinander zu fördern und um das Zusammenleben und die Zusammenarbeit in unserem Land zu stärken.

Aber auch um konstruktive Kritik zuzulassen und über konkrete Vorschläge und Visionen zu diskutieren. Deswegen haben wir den neuen ExpertInnenrat „Migration.Integration.Teilhabe.“ gegründet. Dieser wird von meinen Kolleginnen und Kollegen heute präsentiert. Auf dem nächsten Gipfel im Herbst 2020 wird dieser ExpertInnenrat den ersten „Integrationsplan“ mit konkreten Maßnahmenvorschlägen zu den Themen Arbeit, Bildung, Gesundheit und Teilhabe vorstellen. Maßnahmenvorschläge, die wir nicht nur an die Regierung, Ministerien oder Städte richten, sondern auch an Migrantinnen und Migranten selbst.

Aber nicht nur unsere Gesellschaft, auch unsere Medien und die Wirtschaft sind heute vielfältiger denn je. Deshalb finden im Rahmen des Gipfels eine Konferenz der MigrantInnenmedien sowie eine Wirtschaftskonferenz der Wirtschaftsagentur Wien statt.

Und weil Partizipation heute und hoffentlich auch in den nächsten Jahren großgeschrieben wird, haben wir MigrantInnenorganisationen aus ganz Österreich dazu eingeladen, ein gemeinsames Positionspapier zu unterzeichnen. Wir werden heute darüber diskutieren, wie man die MigrantInnenorganisationen als Brückenbauer in unserer Gesellschaft besser unterstützen kann, und gleichzeitig aber auch darüber, welche Rolle die Organisationen selbst in der Einwanderungsgesellschaft spielen können.

Die interkulturelle Öffnung betrifft nicht nur die Institutionen, sondern auch alle Organisationen in diesem Land. Denn die Zukunft gelingt am besten gemeinsam.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

einen Integrationsgipfel gibt es in Deutschland mittlerweile seit mehr als zehn Jahren. Im Unterschied zu Österreich wurde der deutsche Integrationsgipfel von ganz oben initiiert, nämlich von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie setzt sich einmal im Jahr mit über 100 MigrantInnenorganisationen zusammen und das, was sie im Rahmen des Gipfels besprechen, dient ihr als richtungsweisend für ihre Integrationspolitik.

Da wir in Österreich derzeit davon nur träumen können, ist der Österreichische Integrationsgipfel eine Initiative von ganz unten. Und ich muss gestehen, meine größte Sorge war, den Begriff „Gipfel“ zu rechtfertigen. Aber nachdem wir statt der erwarteten 500 über 1.000 Anmeldungen erhalten haben und heute unter uns Vertreterinnen und Vertreter aus mehr als 450 Organisationen aus ganz Österreich sind, ist mir klar: Ja, es ist ein Gipfel! Ein Gipfel derjenigen, denen die Versachlichung der Integrationsdebatte und eine Zusammenarbeit ein Anliegen sind.

Hoffentlich endet unsere gemeinsame Reise nicht heute. Hoffentlich beginnt sie hier und heute. Denn Migration, Integration und Teilhabe sind langfristige Herausforderungen, die wir gemeinsam, nachhaltig und strukturell angehen müssen. Weil eine starke, moderne und offene Gesellschaft die Einbindung aller Akteurinnen und Akteure braucht. Ich darf zwar nicht viel verraten, aber bis zum nächsten Gipfel  werden wir an einer gemeinsamen Initiative arbeiten, die uns alle viel besser vernetzt und durch die wir uns alle zusammen für die Vielfalt unseres Landes einsetzen und somit unsere Zusammenarbeit stärken können. Außerdem werden wir gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern österreichischer Medien über ihre Rolle in der Einwanderungsgesellschaft diskutieren sowie den ersten „Österreichischen Integrationsplan“ des ExpertInnenrats präsentieren.

Liebe Freundinnen und Freunde,

in der Zeit, in der wir leben, ist es leider nicht selbstverständlich, dass Projekte wie der Integrationsgipfel finanziell unterstützt werden. Aus diesem Grund bin ich der Präsidentin der Arbeiterkammer Wien, Renate Anderl, und dem Wiener Integrationsstadtrat Jürgen Czernohorszky besonders dankbar, denn ohne ihre Unterstützung wären wir alle heute nicht hier. Außerdem möchte ich mich für die Unterstützung der Wirtschaftsagentur Wien bedanken, aber auch bei allen Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern, die dieses Projekt ermöglicht haben: DANKE, Ahmed, Tülay, Marko, Philipp, Gernot, Uschi, Sabrina, Safak, Birol, Drago und vielen anderen.

Mein großer Dank gilt meinen Kolleginnen – liebe Katharina, Christa und Sonja: Heute ist euer Tag!

Und für die Möglichkeit, unsere Botschaft mit sehr vielen Menschen in diesem Land teilen zu können, danke ich unseren MedienpartnerInnen: der Kronen Zeitung, OKTO, KOSMO, Yeni Vatan Gazetesi, dem BUM Magazin, biber und dem nov@ Magazin.

DANKE an die Vertreterinnen und Vertreter der über 450 Organisationen, die heute für eine gemeinsame Botschaft in die Hofburg gekommen sind: Zukunft gelingt gemeinsam!

Großer Dank an alle, die heute präsentieren, moderieren und diskutieren werden, und danke an alle, die gekommen sind, um dabei zu sein.

Denn Zukunft gelingt gemeinsam!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Dino Schosche
Initiator, ehrenamtlicher Projektleiter

Foto: Igor Ripak