Arbeitsmigration
Arbeitsmigration, Vielfalt und Diversität prägen den österreichischen Arbeitsalltag bereits seit Jahrzehnten. Ob es um den Fachkräftemangel geht, mit dem der österreichische Arbeitsmarkt gerade konfrontiert ist, oder um den Einstieg in die Erwerbstätigkeit von immigrierenden und geflüchteten Menschen – ein inklusives und faires Arbeitsverhältnis zu schaffen, ist für jede:n essentiell. Der Integrationsgipfel 2023 beschäftigt sich daher vor allem mit der Frage nach einer besseren Fachkräftesicherung durch Arbeitnehmer:innen aus dem Ausland und deren Einstieg in die Arbeitswelt in Österreich. Die Zukunft des österreichischen Arbeitsmarktes ist daher abhängig von den Schritten die in Bezug auf Partizipation und Teilhabe als nächstes gesetzt werden. Denn unsere Zukunft gelingt nur gemeinsam.
Renate Anderl
Präsidentin der AK Wien und der Bundesarbeitskammer
Die Frage des Arbeits- bzw. Fachkräftebedarfs wird derzeit breit diskutiert. In vielen Fällen ist der sogenannte Arbeitskräftemangel von den Unternehmen selbst verschuldet – wegen schlechter Bezahlung, schlechter Arbeitszeiten, schlechter Arbeitsbedingungen oder wegen mangelnder Investitionen der Unternehmen in Aus- und Weiterbildung der Arbeitnehmer:innen. Es liegt auch in der Verantwortung der Unternehmen, bessere Bedingungen zu schaffen. Besonders zugewanderte Menschen sind von schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen betroffen.
Arbeitnehmer:innen sind durchaus bereit, in Branchen mit schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen zu arbeiten, sofern die Arbeitgeber:innen bessere Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen bieten. Allerdings kann es in einigen Fällen bzw. in manchen Branchen durchaus vorkommen, dass der Bedarf an Arbeitskräften so groß ist, dass er – trotz akzeptabler Arbeitsbedingungen – nicht in Österreich gedeckt werden kann.
Menschen, die nach Österreich zugewandert sind, benötigen gezielte Förderung, um die auf dem Arbeitsmarkt geforderten Basisqualifikationen zu erlangen. Darüber hinaus muss die Anerkennung bzw. Nostrifizierung von in anderen Ländern erworbenen Qualifikationen und Ausbildungen rascher erfolgen und für die Betroffenen leistbar sein, damit sie entsprechend ihrer Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können.
Auch eine Weiterentwicklung der Regelungen zu qualifizierter Arbeitsmigration („Rot-Weiß-Rot-Karte“) ist sinnvoll. Zentral dafür ist die Frage, in welchen Branchen tatsächlich ein Arbeitskräftebedarf herrscht. Das derzeitige bloße Gegenüberstellen von offenen Stellen und arbeitslosen Personen greift zu kurz. Stattdessen sind zusätzliche Kriterien nötig, die auch die Arbeitsbedingungen und die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer:innen berücksichtigen. Wenn aufgrund klarer Kriterien die Zulassung zum Arbeitsmarkt erfolgt, dann soll auch die Bindung an einen bestimmten Betrieb entfallen. Dadurch kann Lohndumping unterbunden werden. Menschen, die ihre Ausbildung in Österreich absolviert haben, soll eine bessere Perspektive für eine Beschäftigung in Österreich geboten werden. Entscheidend bei einer Neuausrichtung des Systems der Arbeitsmigration ist die Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping.
Dr. Alexander Dubowy
Leiter des ÖIF-Integrationsservice für Fachkräfte
Fachkräfte aus dem Ausland beim Einstieg in die österreichische Arbeitswelt zu unterstützen, ist von entscheidender Bedeutung, um dem Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften gerecht zu werden und die Wirtschaft des Landes zu stärken. Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen spielt dabei eine zentrale Rolle. Der ÖIF informiert bei diesem Prozess über Abläufe, benötigte Unterlagen und finanzielle Fördermöglichkeiten und unterstützt die Fachkräfte auf diese Weise beim adäquaten Arbeitsmarkteinstieg. Das ÖIF-Integrationsservice für Fachkräfte ist eine serviceorientierte Beratungseinrichtung und Informationsdrehscheibe zur Unterstützung der Integration von Fachkräften in Österreich. Der Integrationsservice berät Fachkräfte zum Leben und Arbeiten in Österreich und stellt Angebote zum Deutschlernen in Unternehmen und zur Schulung von Unternehmensvertreter/innen zur Verfügung. Der Integrationsservice bietet einen Überblick über bestehende Angebote von Strukturpartnern, wie bspw. Austrian Business Agency (ABA), AMS, Anlaufstellen für Personen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen (AST), WKO etc., verweist bedarfsorientiert auf diese und stellt regional gemeinsam mit Kooperationspartnern Ergänzungsangebote zur Verfügung.
Dr.in Andrea Barschdorf-Hager
Geschäftsführerin von CARE Österreich
Als Geschäftsführerin von CARE Österreich, einer humanitären Organisation, die weltweit aktiv ist, freut es mich, dass der Österreichische Integrationsgipfel heuer bereits zum 5. Mal an der Wirtschaftsuniversität Wien stattfinden wird. Die Fachkräftesicherung durch Arbeitsmigration ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft Österreichs und vieler Herkunftsländer der internationalen Arbeitssuchenden.
Die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland ist unerlässlich, um Österreichs Wirtschafts- und Innovationskraft zu stärken. CARE Österreich hat ein internationales Team, das aus einigen dieser Regionen stammt. Unsere Mitarbeiter:innen bringen wertvolle interkulturelle Kenntnisse und Erfahrungen mit. Dies unterstreicht die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Ländern und Kulturen.
Unser derzeitiges europäisches Zuwanderungs- und Arbeitsmigrationsmodell muss agiler und effizienter werden, um den Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Hierbei sind schnellere Anerkennungsverfahren für ausländische Qualifikationen von großer Bedeutung. Integration sollte nicht nur ein Schlagwort sein, sondern aktiv gefördert werden.
Bei CARE Österreich wissen wir aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, ausländischen Fachkräften den Start zu erleichtern. Dies kann durch die Bereitstellung von Sprachkursen und kultureller Sensibilisierung erfolgen. Denn ein möglichst reibungsloser Einstieg in die österreichische Arbeitswelt ist von wesentlicher Bedeutung.
Wir sollten darauf abzielen, ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der heimischen Arbeitskräfte und den Bedürfnissen der Wirtschaft zu finden. Dies erfordert eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Regierung, Bildungseinrichtungen, Unternehmen und NGOs wie CARE Österreich, das bereits mit einem internationalen Team arbeitet und viel Erfahrung in den Herkunftsländern hat. CARE wünscht dem Österreichischen Integrationsgipfel spannende Beiträge, um den Arbeitsmarkt in Österreich zukunftsfähiger zu machen.
Christian Gantner
Voralrberger Landesrat
Vorarlberg ist eine der stärksten Wirtschaftsregionen in Europa und das dynamische Wirtschaftswachstum der letzten Jahre hat zur Schaffung vieler neuer Arbeitsplätze beigetragen. Die Nachfrage nach Arbeitskräften am Arbeitsmarkt ist groß und es braucht daher die Mobilisierung des vollen Arbeitskräftepotenzials. Die Gruppe jener Menschen, die aus dem Ausland nach Vorarlberg gekommen oder bereits hier aufgewachsen sind, ist hier von großer Bedeutung.
Wir sind bei der Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten und ihren Nachkommen in Vorarlberg auf einem guten Weg. Basierend auf bisher Erreichtem wird Vorarlberg laufend als attraktiver Arbeits-, Wirtschafts- und Lebensraum weiterentwickelt.
Um am Arbeitsmarkt auch entsprechend Fuß zu fassen, spielen individuelle aber auch strukturelle Faktoren wie die Rahmenbedingungen im Betrieb und am Wohnort eine Rolle. Neuzugewanderte bringen ihre Qualifikationen und Berufserfahrungen nach Vorarlberg mit. Diese gilt es anzuerkennen und für den Wirtschaftsraum produktiv zu nutzen. Mit Blick auf den Fachkräftebedarf könnten diese Fähigkeiten, ergänzt durch Sprach- und Qualifizierungsmaßnahmen, zu einer Win-Win-Situation für die einzelne Person und die Vorarlberger Gesellschaft gemacht werden. Durch die Förderung der Bildungskarrieren junger Migranteninnen und Migranten können zudem die Chancen auf eine spätere erfolgreiche Arbeitsmarktintegration optimiert werden.
Integration ist immer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, braucht demzufolge das Engagement aller Beteiligten, um funktionieren zu können. Akzeptanz, Respekt, Abbau von Vorurteilen und Vielfalt als Mehrwert wird meist dort erkannt, wo gemeinsame Aufgaben und Ziele im Vordergrund stehen, wie bei der gemeinsamen Arbeit im Betrieb.
Mag.a Edith Zitz
Projektleitung „Anerkannt!“
Zugewanderte Menschen sind eine heterogene Gruppe und häufiger im untersten und obersten Bildungssegment vertreten als Personen ohne Migrationshintergrund. Ihre Erwerbquote liegt unter jener der Mehrheitsgesellschaft, was verstärkt für Frauen gilt. Eine Willkommenskultur mit klarer Kante gegenüber Diskriminierungen in und von allen Teilen der Gesellschaft ist Grundlage für ein produktives Zusammenarbeiten.
Mitzudenken ist der seit Oktober 2023 ausgebrochene Krieg im Nahen Osten, ausgelöst durch die Hamas-Terrorattacken auf Israel, der globale Fluchtbewegungen bringen wird.
Das Zuwanderungs- und Arbeitsmigrations-Recht in Österreich ist komplex und überfordert gerade kleine Betriebe. Das ist eine strukturelle Barriere.
Eine frühe Potentialerhebung durch Anerkennung bzw. Ausbau von mitgebrachten Qualifikationen ist das „Um und Auf“: sie bedeutet Teilhabe an der Gesellschaft, macht sozioökonomisch unabhängig und ermöglicht arbeitskräftesuchenden Unternehmen „Vielfalt im Betrieb“, speziell in personalsuchenden Branchen wie Gastronomie, Pflege und in klimarelevanten Berufen.
Zunehmend betreiben Unternehmen ihr Recruiting über Social Media-Plattformen: diese visuell orientierten Medien brauchen eine überlegte Bildsprache, um nicht ungewollt rassistische oder sexistische Stereotype zu bedienen. Weiters sind Beratungen für zugewanderte Personen zur „Jobsuche mit digitalen tools“ notwendig, die zugleich auf ein „Onboarding“ im Betrieb vorbereiten.
Weibliche internationale/ zugewanderte Unternehmerinnen sind wertvolle Rollenmodelle für alle. Sie werden trotz ihrer Leistungen leider oft übersehen.
Ein motivierender „(Berufs)Anerkennungs-Diskurs“ mit zugewanderten Personen und ihren communities, Unternehmen, Sozialpartnern, dem AMS und gemeinnützigen Vereinen stärkt die Netzwerke und fördert den wertschätzenden Blick in einer krisenerfahrenen Gesellschaft.
Mag. (FH) Erich Fenninger, DSA
Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe Österreich
Der durch den demografischen Wandel verursachte Arbeitskräftemangel in Europa ändert die Migrationsdebatte. Wird das Thema Migration seit Jahren, vor allem in Österreich, ausschließlich defizit- und problemorientiert geführt, so kommen jetzt neue Aspekte ins Spiel. Wer wird die Boomer-Generation pflegen? Wer die Kinder betreuen? Und wer wird noch in der Gastronomie und Hotellerie arbeiten? Am Beginn einer neuen Debatte um Integration und Migration steht daher, das generelle gesellschaftliche mind-set in unserem Land zu ändern. Nicht mehr geschürte Ängste sollten die Diskussion beherrschen, sondern die Chancen und Möglichkeiten.
Dann kann auch an den konkreten Regeln für die notwendige Zuwanderung gearbeitet werden. Derzeit sind in Österreich die Hürden für Arbeitsmigration zu hoch, neben den administrativen Hürden, die es zu beseitigen gilt, sind auch die Senkung der Grenzen für die Erwerbshöhe und Chancen für die Familien der jeweiligen Arbeitskräfte von großer Bedeutung. Dazu braucht es auch Deutschkurse, Kinderbetreuungsplätze und andere Integrationsmaßnahmen. Österreich muss sich davon verabschieden Arbeitskräfte als kurzfristige Lösung zu denken, langfristige Perspektiven für Arbeitskräfte sind wichtig, insbesondere auch die Absicherung durch Transferleistungen, falls der Job verloren geht.
Eine langfristige Niederlassung in Österreich ist dann attraktiv, wenn die Menschen sich hier willkommen und als Teil der Gesellschaft fühlen. Dazu zählt auch die Partizipation am demokratischen Prozess, insbesondere der rasche Zugang zum kommunalen und nationalen Wahlrecht. Österreich steht mittlerweile im internationalen Wettbewerb um Arbeitskräfte. Um dabei erfolgreich zu sein, braucht es mehr Offenheit und Optimismus, damit unsere diverse Gesellschaft gemeinsam zukunftsfit wird.
Professoren Univ.-Prof. Mag. Dr. Gudrun Biffl
Arbeitsmarkt- und Migrationsforscherin, Mitglied des Expertenrates für Integration, der Expertengruppe für Migration der OECD und des Statistikrates von Statistik Austria
Österreich hat jährlich eine substanzielle Zuwanderung von Migrant:innen, und zwar in allen Kategorien. Viele kommen als Familienangehörige von Arbeits- und Bildungsmigrant:innen; davon ist der Großteil im erwerbsfähigen Alter. Sie alle könnten einen Beitrag zur Verringerung des Fachkräftemangels beitragen. Um ihren Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu erleichtern, braucht es ein gut funktionierendes Anerkennungssystem für Qualifikationen, die im Ausland erworben worden sind. Darüber hinaus sind verstärkte Investitionen in ihre Aus- und Weiterbildung zu tätigen, und zwar in das Erstausbildungssystem ebenso wie das Erwachsenenbildungssystem, damit die Qualifikationen den Bedürfnissen des österreichischen Arbeitsmarktes entsprechen.
Aber auch am derzeitigen Zuwanderungsmodell sollte sich etwas ändern, damit mehr gut qualifizierte Migrant:innen nach Österreich kommen und sich auch hier niederlassen. Um das zu erreichen, wäre es notwendig, dass Unternehmen auf der Jobbörse der aba (work in austria) ihre offenen Stellen in stärkerem Maße anbieten als bisher. Damit könnte der Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte für Jobsuchende in Drittstaaten deutlich erleichtert werden. Zusätzlich sollte die Möglichkeit eines unbefristeten Aufenthalts für Fachkräfte/Hochqualifizierte geschaffen werden. Die derzeitigen Befristungen verleiten zu einer andauernden Überprüfung der Entscheidung, ob man in Österreich bleiben will, noch dazu wo es so schwierig ist, die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen.
Es wäre auch sinnvoll, mit ausgewählten Drittstaaten, mit denen Österreich enge wirtschaftliche Verflechtungen hat, Kooperationen im Bereich der dualen Ausbildung einzugehen, die der Nukleus für eine zirkuläre Migration werden könnte. In Kombination damit sollten Sozialversicherungsabkommen geschlossen werden, die eine Portability von Sozialleistungen ermöglicht, eine Voraussetzung für eine erfolgreiche zirkuläre Migration von Arbeitskräften.
Karlheinz Kopf
Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich
Für Unternehmen quer durch alle Branchen wird die Suche nach Arbeitskräften zunehmend zum Problem. 82 % der österreichischen Unternehmen spüren bereits jetzt den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel in ihrem Betrieb. Derzeit gibt es trotz wirtschaftlicher Eintrübung über 200.000 offene Stellen in Österreich. Diese Situation wird sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren weiter verschärfen.
Die Folgen in den Betrieben sind Mehrbelastung der Belegschaft, Umsatzeinbußen und Innovationsverlust. Darüber hinaus gefährdet der Arbeitskräftemangel Wohlstand und Sozialstaat, die beide auf einer hohen Beschäftigung beruhen.
Neben der Mobilisierung des inländischen Potenzials führt kein Weg an qualifizierter Zuwanderung vorbei. Im „international war for talents“ müssen wir den Arbeits- und Lebensstandort aktiv bewerben und anhand einer gezielten Zuwanderungsstrategie Fachkräfte für Österreich gewinnen. Kooperationsabkommen mit ausgewählten Fokusländern sind ebenso essentiell.
Mit der Internationalen Fachkräfte-Offensive (IFO) setzt die WKÖ gezielt Maßnahmen, um ihre Mitglieder bei der Gewinnung von internationalen Talenten zu unterstützen. Das umfasst die Bewerbung des Arbeitsstandortes, capacity building vor Ort, Veranstaltungen (online und Präsenz) zur Vernetzung von Fachkräften und Unternehmen, Kompetenzchecks sowie on-boarding. Dabei wird die WKÖ in sechs Fokusländern sowie ausgewählten Fokus-Mangelberufen tätig.
Mag.a Aleksandra Panek
Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen
Fachkräftesicherung durch Arbeitsmigration kann in Österreich erst dann gelingen, wenn bundespolitisch eine Einigkeit besteht Fachkräfteinwanderung zu ermöglichen.
Für die Fachkräftegewinnung in reglementierten Berufen müssen Anerkennungs- und Einwanderungsbestimmungen aneinander angepasst werden. Aufenthaltstitel sollten vom/von der Arbeitgeber*in entbunden werden und länger gelten. Ein eigener Aufenthaltstitel für Nostrifikation/Nostrifizierung könnte für Fachkräfte kreiert werden und ein Aufenthaltsrecht um Deutschkenntnisse im Zusammenhang mit der Anerkennung im Inland zu erwerben.
Die von den AST-Anlaufstellen angebotene Anerkennungsberatung trägt zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen und -situation der Erwerbsbevölkerung mit Migrationshintergrund bzw. mit mitgebrachten Qualifikationen bei. Seitens des AST-Netzwerks wurden aus der Beratungspraxis heraus Anerkennungsempfehlungen zur Pflegekräftesicherung erarbeitet. Zu den Verbesserungsmaßnahmen gehört auch die vor kurzem erweiterte Möglichkeit der vorläufigen und befristeten Beschäftigung für Personen mit Gesundheits- und Krankenpflegeberufen, die im Ausland erworben wurden. Der Ausbau und die Weiterentwicklung von arbeitsmarktpolitischen Betreuungsmaßnahmen, die auf mitgebrachten Qualifikationen aufbauen („Check In Plus“), sind notwendig. Um Fachkräfte in Österreich zu halten sind nachhaltige Programme, Nachbetreuung und Mentorings, ebenso notwendig, wie ein Onboarding Programm und eine „Willkommens-Kultur“ der Aufnahmegesellschaft. Information und Unterstützung für Arbeitgeber*innen sowie die Schaffung einer Prozesskette, als Instrument zur Sicherung der Fachkräfte (Einwanderung -> Anerkennung -> Arbeitsaufnahme) sind nötig. Weiterbildungsförderungen, die schon immer eine der Unterstützungen für Arbeitnehmer*innen darstellte, sollten auch im Kontext der Anerkennung erweitert werden. So kann Österreich zu einem für Fachkräfte attraktiven Land werden.
Ass. iur. Marian Benbow-Pfisterer
Head of Office at International Organization for Migration (IOM)
Die sich wandelnden Arbeitsmärkte, demografische Entwicklungen und die zunehmende Mobilität der Arbeitnehmer:innen erfordern mehr denn je ein globales Konzept für qualifizierte Migration und berufliche Mobilität. Eine geregelte Arbeitskräftemobilität kann erhebliche Entwicklungsmöglichkeiten für Herkunfts- und Aufnahmestaaten, Migrant:innen, Arbeitgeber:innen sowie für die Gesellschaft als Ganzes bieten. Dafür braucht es eine erhöhte Aufmerksamkeit und mehr Investitionen für die Schaffung von neuen Qualifikationen und Fähigkeiten.
Vor diesem Hintergrund formulierte die Internationale Organisation für Migration (IOM) im Jahr 2019 das Modell der Skills-Mobilitätspartnerschaften (SMPs). In der Praxis sind SMPs Kooperationsplattformen, durch die Herkunfts- und Aufnahmestaaten partnerschaftlich in die Ausbildung von Arbeitnehmer:innen für beide Arbeitsmärkte investieren. In einer zuletzt erschienen Machbarkeitsstudie hat IOM Österreich analysiert, ob SMPs in Österreich mit Staaten außerhalb der EU umsetzbar sind. Die wichtigste Erkenntnis: relevante Stakeholder:innen in Österreich und in möglichen Partnerstaaten haben großes Interesse an SMPs, aber es bestehen auch große Hürden für die praktische Umsetzung, insbesondere hinsichtlich Anerkennung und Vergleichbarkeit von Qualifikationen und Kompetenzen.
IOM setzt sich aktiv für sichere und reguläre Möglichkeiten der Arbeitsmobilität und den Schutz von Arbeitsmigrant:innen ein. Mit der globalen IRIS-Initiative für ethische Anwerbung unterstützt IOM Arbeitgeber:innen, Vermittlungsagenturen und staatliche Akteure, internationale Arbeitsvermittlung fair zu gestalten. Dies trägt auch dazu bei, die Arbeitsmarktstandards im Aufnahmestaat zu wahren. Ein essenzielles IRIS-Prinzip lautet, dass bei der Arbeitsvermittlung für Arbeitsmigrant:innen keine Kosten im Zuge der Anwerbung entstehen dürfen. Zudem ist es essentiell, Migrant:innen und Unternehmen, die an Arbeitsmobilitätsprogrammen teilnehmen, durch Beratungs- und Integrationsangebote gut vorzubereiten.
Nikolaus Kunrath
Die Grünen, Abgeordneter zum Wiener Gemeinderat
Es braucht keine Arbeitsmigration – Korrektur, es bräuchte keine Arbeitsmigration.
Warum sage ich das so? Hierzu sind zwei Gedanken wichtig: Arbeitsmigration bedeutet, dass Fachkräfte nach Österreich geholt werden, um hier einer Arbeit nachzugehen, die von in Österreich lebenden Menschen unterbesetzt ist. Würden in Österreich faire Gehälter bezahlt – und in Ausbildungen investiert – , hätten wir keinen Fachkräftemangel und könnten außerdem diversen Engpässen und Krisen vorbeugen. Das ist klar einefehlende Wertschätzung gegenüber bestimmten Berufsgruppen. Nehmen wir das Beispiel Pflege. Hier ist die fehlende Wertschätzung deutlich zu erkennen. Schwere körperliche Arbeit, Überstunden, Nachtdienste – bei oftmals geringer Bezahlung. Ich frage: Wer kann das leisten? Die Antwort lautet: Jene Menschen, dieeinerseits auf das Geld angewiesen sind, oftmals wider der gesetzlichen Bestimmungen trotzdem aus Angst arbeiten und andererseits in Österreich immer noch mehr als in ihren Herkunftsländern verdienen.
Das Resultat davon ist unter anderem jedoch, dass jene Fachkräfte in ihren Herkunftsländern fehlen. Wer versorgt Pflegebedürftige auf, zum Beispiel, den Philippinen, wenn die ausgebildeten Kräfte in Österreich sind? Die Spirale des Fachkräftemangels dreht sich weiter. Der Ansatz kann nicht sein: Geht es uns gut, ist es egal wie es anderswo aussieht. Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen: Der freie Arbeitsmarktzugang innerhalb der Europäischen Union ist eine Errungenschaft. Aktuell wird der Diskurs jedoch negativ behaftet geführt. Ich möchte klarstellen: Ein freier Arbeitsmarkt in der Europäischen Union ist für mich keine Arbeitsmigration – sondern eine selbstverständliche und freie Wahl des Arbeitsorts. Es ist wichtig zu differenzieren und bei den Fakten zu bleiben. Und Fakt ist in Österreich derzeit, dass es einen Fachkräftemangel gibt. Zurückkommend auf meinEingangsstatement sage ich daher, Ja natürlich braucht es Arbeitsmigration. Auch deswegen, weil Österreich es verabsäumt entsprechende Maßnahmen zur Förderung und gerechten Entlohnung in bestimmten Arbeitsbereichen zu treffen.
Mag. Robert Krotzer
Grazer Stadtrat für Gesundheit und Pflege, österreichischer Politiker KPÖ
Die Stadt Graz bekennt sich zu einem historischen Migrationsverständnis, das Zuzug in den urbanen Raum als historische Normalität anerkennt. Als Menschenrechtsstadt schätzen wir kulturelle und religiöse Vielfalt und zielen auf eine nachhaltige Entwicklung zum Erhalt der Lebensqualität in unserer Stadt. Dazu gehört selbstverständlich auch eine Beschäftigung, der diskriminierungsfreie Zugang zu ebendieser und das Bemühen um faire Bedingungen für Beschäftigte.
Dass es einen immer stärker gewordenen Mangel an Fachkräften und mittlerweile allgemeinen Arbeitskräften auch in Branchen wie Gastronomie und Pflege zu beklagen gibt, ist einerseits den demographischen Gegebenheiten in einer immer älter werdenden Bevölkerung, andererseits auch unattraktiven Arbeitsbedingungen und Entlohnungen in gewissen Bereichen geschuldet.
Rund 20 Prozent aller Menschen in Österreich haben Migrationsbiographien – diesen die umfassende Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen, dabei möglichst viele Hindernisse, ob rechtliche oder kulturelle, aus dem Weg zu räumen, wirkt nicht nur dem Arbeitskräftemangel entgegen, sondern verhilft auch den zugewanderten Menschen zu einem erfüllten Leben als inkludierter Teil der österreichischen Gesellschaft. Zugleich muss an den Stellschrauben gedreht werden, die gewisse Berufe unansehnlich machen: Faire Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen dürfen nicht umgangen werden, sondern sind ein Grundrecht für alle Beschäftigten.
Gute Arbeit, faire Entlohnung und gleiche Rechte muss es für alle in Österreich lebenden Menschen – ob hier geboren oder erst hergezogen – geben. Gleiche Chancen auf Bildung und gleiche Chancen auf eine Arbeitsstelle, ungeachtet der Hautfarbe, Religion, Alter oder Ethnie, würden bereits viel bewirken. Nur so kann man das volle Potential der Menschen in unserem Land nutzen, sozialer Ungleichheit entgegenwirken, und zugleich die Situation am Arbeitsmarkt als auch die Lebensqualität von Drittstaatsangehörigen verbessern.
Dr.in Ewa Ernst-Dziedzic
Abgeordnete zum Nationalrat, Sprecherin für Außenpolitik, Migration und Menschenrechte
Überall wo Menschen zusammenleben, gibt es unterschiedliche Herausforderungen, denn wir alle unterscheiden uns in unseren Lebenserfahrungen und Bedürfnissen. Um das Potenzial unserer Unterschiedlichkeiten zu nutzen ist es notwendig, dass hier ankommende Menschen in ihrer neuen Heimat Österreich zurechtkommen und gerade ihre Fähigkeiten oder Expertise gut einbringen können. Dafür braucht es einen unbürokratischen, direkten Zugang zum Arbeitsmarkt und die Anerkennung von Ausbildungen und Expertisen.
Wir sind für eine Integration ab Tag 1, für Deutschkurse und Arbeitsmarktzugang für alle, für Integrationsmaßnahmen, die weniger Zwang und Strafe sind, sondern Kompetenzen und Orientierung vermitteln. Dazu gehört beispielsweise, dass diverse Sprachkenntnisse in Zukunft bei der Vergabe der RWR-Karte berücksichtigt werden und auch Sprachkenntnisse in Spanisch und Französisch anerkannt werden. Qualifizierten ausländischen Arbeitskräfte wird hier schnellerer Zugang ermöglicht und somit der Fachkräftemangel bekämpft. Darüber hinaus braucht es Erleichterungen für Stammsaisonniers.
In dem der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird, Integration vom 1. Tag an stattfindet, die Arbeitsbedingungen verbessert werden, Dienstverträge immer wieder geprüft und wenn nötig neu begründet werden. Die Förderung der Arbeitsmarktintegration ist nicht nur im Interesse der Schutzsuchenden und ihrer Selbsterhaltungsfähigkeit, sie ist auch im Interesse der Volkswirtschaft.